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Von Jan Hendrik Neumann Ich habe immer gesagt: Ich glaube, dass im Gespräch der Menschen untereinander der Schlüssel zum Frieden liegt, generell.“ Dessen mörderische Antithese, den Krieg, erlebte Alfred Schmidt als Sechsjähriger noch hautnah, als er mit seiner Mutter und seinen beiden jüngeren Geschwistern Hals über Kopf aus Strasburg/ Westpreußen, dem heutigen Brodnica, flüchten musste: „Silvester 1944 erhielten wir die Nachricht, dass die Russen nur noch 30 Kilometer entfernt sind.“ Sechs Monate war die Familie daraufhin auf der Flucht, bis sie schließlich bei Schmidts Großvater in Korbach Unterschlupf fand. Den späteren Malermeister, der eigentlich viel lieber Architekt geworden wäre, hielt diese Erfahrung jedoch nicht davon ab in Kassel freiwillig Russisch zu lernen, kurz nach seinem Eintritt in die FDP 1962. „Denn lange vor Brandt haben wir Jungdemokraten bereits Initiativen in Richtung Osten gestartet, haben unter anderem den sowjetischen Botschafter nach Kassel eingeladen – da wäre ich fast aus der Partei geflogen – und auch Johannes Dieckmann, den stellvertretenden Vorsitzenden des Staatsrates der DDR.“ Als politische Leitfigur in dieser Zeit benennt Alfred Schmidt den Frankfurter Rundschau-Redakteur und späteren FDP-Generalsekretär Karl- Hermann Flach, einen Wegbereiter der sozialliberalen Koalition. Anfang der 70er Jahre in den Landesvorstand der hessischen FDP aufgerückt, führte ihn der damalige hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry dann bereits 1973 an China heran, zu dem erst wenige Monate diplomatische Beziehungen bestanden. „Der Karry hat zu mir gesagt: Bub, ich habe hier eine Delegation aus China zu Besuch, da kommst Du mit dazu. Denn irgendwann wird dieses Land mal von einer ganz großen Bedeutung sein.“ Den Osten im Fokus Die Chance, seinen nunmehr vielfältigen Ost-Interessen politische Gestaltungsmöglichkeiten folgen zu lassen, eröffnete sich dem gebürtigen Korbacher 1987, als er für vier Jahre ins CDU-FDPKabinett von Walter Wallmann berufen wurde. Als Wirtschaftsminister konzentrierte sich Schmidt dabei auf die Bereiche Energie-, Medien und Gesundheitspolitik – „im Landtag war ich als Fachmann anerkannt, soweit man das als Politiker sein kann“ –, geographische Schwerpunkte setzte er mit China, Japan und der gerade durch Glasnost und Perestroika weit geöffneten Sowjetunion. In letzterer sah er sofort „sehr, sehr viel Potenzial, so sehe ich das heute noch, denn es ist das Land auf dieser Erde, das die meisten Ressourcen hat.“ Zudem seien die Russen „begnadete Techniker. Die können Ihnen alles bauen und reparieren, entsprechendes Material vorausgesetzt.“ Unvergessen sind ihm insbesondere seine Besuche im russischen Raumfahrtzentrum Baikonur, „wo sonst nie jemand hineinkam“, und in Moskau, wo ihn Ministerpräsident Silajew gleich mehrfach in den Regierungssitz einlud: „Als erstes wurde die berühmte »Bonzenspur« gelegt: Vom Hotel bis zum Kreml war die Straße freigeräumt, die Straßen gesperrt und wir bekamen eine Tschaika, so eine Riesen-Staatskarosse ...“ Doch wichtiger als alles Repräsentative war Alfred Schmidt, „immer unterwegs für die Wirtschaft“, der Aufbau von persönlichen Kontakten, bei dem ihm auch seine Russischkenntnisse sehr zupass kamen: „Obwohl nicht perfekt, habe ich über diesen Weg sehr weitreichende Freundschaften geschlossen, etwa mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Das hatte später noch Folgen.“ Bewegung durch Kontakte Ähnliche Erfahrungen sammelte Schmidt ebenfalls in Japan, wo er sich unter anderem anfreundete mit dem späteren Präsidenten der Industrial Bank of Japan, zu dieser Zeit eine der größten Banken der Welt. „Solche Kontakte haben dann am Ende auch wirtschaftlich sehr viel mehr bewegt als alles andere.“ Seine Strategie der Freundschaft, der persönlichen Vertrauensbildung, trug insbesondere in China Früchte, in das er 1989 mit einer Delegation der deutschen Wirtschaft reiste, zu einer Zeit, als alle Kontakte des Westens dorthin aufgrund der Ereignisse auf dem Tian’anmen- Platz unterbrochen waren. „Damit habe ich etwas getan, was die Chinesen mir bis heute nicht vergessen haben, insofern spielt das auch eine Rolle bis heute, zu meinem Netzwerk“, ist sich Alfred Schmidt sicher, der seit seinem Ausscheiden aus der Politik 1995 als ehrenamtlicher Sonderbeauftragter der Stadt Kassel für Wirtschaftsförderung tätig ist und in dieser Funktion 2003 das seither äußerst erfolgreich arbeitende Netzwerk Hessen- China gründete. Rückblickend sagt er: „Ich habe da ein Leben gehabt, bin gerade 75 Jahre alt geworden, aber ich würde das alles noch einmal erleben wollen. Es war so spannend – und ist es in China gerade wieder!“ www.jerome-kassel.de 35 JÉRÔME WIRTSCHAFT


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