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Die nordhessische Industrie stand im Mittelpunkt des Aktionstags der Industrie- und Handelskammer 40 www.jerome-kassel.de JÉRÔME WIRTSCHAFT Von Hybriden, Netzen und Bindungen Ein Viertel der deutschen Wirtschaftsleistung wird vom produzierenden Gewerbe erbracht. So gesehen, scheint Nordhessen traditionsgemäß voll im Trend zu liegen. „Jeder fünfte Arbeitnehmer in Nordhessen ist in der Industrie tätig“, sagte Reinhard Bauer, Vorsitzender des Industrieausschusses der Industrie- und Handelskammer Kassel-Marburg, zu Beginn der Abendveranstaltung des diesjährigen Aktionstages, der am 13. November auf Einladung der Industrie und Handelskammer Kassel-Marburg und von Volkswagen im VW-Werk in Baunatal stattfand. Nordhessen ist und bleibt Industrie Die Infosmationsveranstaltung war mit dem Titel „Innovation, Tradition, Verantwortung: Industrie in Nordhessen und Marburg“ überschrieben worden. „Nordhessen und Marburg blicken auf eine lange Tradition als Industrie- und Technologiestandort zurück“, erläuterte Oskar Edelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK. Trotz des Strukturwandels forme die Industrie nach wie vor ein unverzichtbares Standbein für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg. Die Industrie stelle einen wesentlichen Treiber von Innovationen dar, bilde den Nachwuchs aus und schaffe viele Arbeitsplätze. „Die Industrieunternehmen unserer Region nehmen auch ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst“, betont Edelmann. „Mit vielen Projekten, zum Beispiel in den Bereichen Sport, Kultur und Soziales, stärken sie ein lebenswertes und attraktives Umfeld.“ Aus diesem Grund hatte die IHK das Ziel, ihren Gästen an diesem Abend einige Industriebetriebe vorstellen, die exemplarisch für die vielen Unternehmen in Nordhessen und Marburg stehen. Deutschlands Exportquote in Gefahr Da war es nur folgerichtig, dass mit Reinhard Bauer, der neben seiner IHK-Funktion als Geschäftsführer des Schwalmstädter Unternehmens Horn und Bauer auftrat, mit Dr. Bernadette Tillmanns- Estorf, der Direktorin Unternehmenskommunikation und Wissensmanagement der Melsunger B. Braun AG, und Dr. Mathias Schäfer, Geschäftsführer der Frankenberger FingerHaus GmbH, bedeutende nordhessische Unternehmer auf dem Podium standen, um ihre jeweilige Sicht auf die nordhessische Wirtschaftslage deutlich zu machen. Vor der Podiumsdiskussion referierte Dr. Karl Lichtblau über die Bedeutung der Industrie für Deutschland. Lichtblau ist Sprecher der Geschäftsführung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Nach der Krise des Jahres 2009, so Lichtblau, habe es zwar einen Einbruch gegeben, dennoch habe Deutschland nach wie vor einen stabilen Industriekern. Zwischen den Jahren 1995 und 2011 sei die deutsche Exportquote im Bereich der Industrie von 32,7 auf 51,9 Prozent gestiegen, die komplette Ausfuhrquote von 14 auf 24,9 Prozent. Damit liegt Deutschland in Sachen Weltmarktanteil bei Exporten seit 18 Jahren auf Rang Zwei. Dieser Rang aber, so Lichtblau, sei in Gefahr. Es gebe einen klaren Trend, demzufolge immer weniger Lieferanten aus Deutschland kämen, großer Nutznießer dieser Entwicklung sei vor allem China. Durch die Verlagerung der Lieferanten würden die Wertschöpfungsketten zunehmend komplexer. Mehrgleisig denken Es sind vor allem hybride Geschäftsmodelle, die Dr. Lichtblau präferierte. Diese seien noch nicht sehr verbreitet in unserem Land, gerade mal 16 Prozent aller Unternehmen bevorzugten diese Geschäftsmodelle. „Wer diesen Weg geht, der forscht mehr, der ist deutlich kreativer und robuster als ein nichthybrides und auch deutlich erfolgreicher.“ Als hybride Geschäftsmodelle bezeichnet man Unternehmensstrategien, die beispielsweise Kunden nicht nur ein Produkt verkaufen, sondern im Paket gleich Problemlösungen und den dazu gehörigen Service. Starke Bindung an die Region Bindung an die Region, gute Karrierechancen und eine gute Infrastruktur – in der anschließenden Podiumsdiskussion machten die Vertreter der drei eingeladenen Unternehmen deutlich, wie sie aufgestellt sind, wie sie die weitere Entwicklung der Region beurteilen und welche Punkte ihnen wichtig sind, um qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu bekommen und zu halten. „Wir haben flache Hierarchien“, sagte Dr. Mathias Schäfer, „dafür aber steilere Möglichkeiten zum Aufstieg. Unsere jungen Leute legen keinen Wert darauf, die Region zu verlassen.“ Ähnlich ist es bei Horn & Bauer in Schwalmstadt. Der Folienhersteller bezieht einen Teil seines Erfolgs aus sehr geringer Fluktuation der Belegschaft und einer mit zehn Prozent recht hohen Ausbildungsquote. Aber auch hier gibt es neben Licht ein wenig Schatten. „Wir sind ein Drei-Schicht-Betrieb“, sagte Geschäftsführer Reinhard Bauer, „aber die Bereitschaft zur Schichtarbeit nimmt ab.“ Das Unternehmen hat mittlerweile eine eigene Datenleitung, „aber wir brauchen den Ausbau der A 49 und hoffen nicht, dass es nach erfolgter Regierungsbildung dazu kommt, dass der Weiterbau erneut gestoppt wird.“ Auch für B. Braun ist die Lage eine der Stärken der Region. „Die Mitte Deutschlands ist für uns auch ein Symbol für die gute Anbindung in ganz Europa“, so Dr. Bernadette Tillmanns-Estorf. In einem waren trotz aller Unterschiede alle drei Unternehmen einig: Nur durch die Vernetzung von Unternehmen untereinander und durch die Kooperation mit der Uni Kassel kann es der Region gelingen, sich stetig weiterzuentwickeln. Moderiert von Werner Schliericke vom Hessischen Rundfunk (rechts) diskutierten am Ende des Abends Baunatals VW-Kommunikationschef Rudi Stassek, Dr. Karl Lichtblau, Reinhard Bauer (Horn & Bauer), Dr. Mathias Schäfer (FingerHaus) und Dr. Bernadette Tillmanns-Estorf (B. Braun) (v.l.) über Nordhessens Gegenwart und Zukunft Von Ralph-Michael Krum Foto: Ralph-Michael Krum


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