Page 19

Jerome_45_2016

www.jerome-kassel.de 19 JÉRÔME STADT Dr. Birgit Jooss hat am 1. Juli die Leitung des documenta-Archivs übernommen. Wir haben sie zum Gespräch eingeladen, um mit ihr über ihre Aufgaben, die künftige Ausrichtung des Archivs und ihr Ankommen in Kassel zu sprechen. Jérôme Kassel: Was sind Ihre Aufgaben? Dr. Birgit Jooss: Die Arbeit in einem Archiv ist außerordentlich vielfältig und dadurch interessanter, als man sich das vielleicht gemeinhin vorstellt. Zunächst geht es darum Archivgut zu übernehmen und zu sichern, in unserem Fall sind dies die Akten des jeweiligen documenta-Teams mit all den Notizen, Korrespondenzen, Konzepten etc. Zusätzlich erwerben wir Publikationen und Sammlungen. So haben wir eine einmalige Spezialbibliothek, umfangreiche Presse-, Foto- und audiovisuelle Mediensammlungen sowie ergänzende Nachlässe, etwa den von Arnold Bode. Sodann müssen wir das Bibliotheks- und Archivgut für die Öffentlichkeit und Forschung aufbereiten und zugänglich machen, was sowohl durch die Erarbeitung von Verzeichnissen als auch durch Digitalisierungsmaßnahmen erfolgt. Und nicht zuletzt geht es darum, auch nach außen zu treten, etwa durch Publikationen, Vorträge, Ausstellungen und natürlich digitale Projekte. Ich denke, Sie können an dieser Bandbreite schon erkennen, wie vielfältig unsere Aufgaben sind. Jérôme: Wie sehen Sie die konzeptionelle Weiterentwicklung des documenta-Archivs? Jooss: Zu Anfang geht es um essenzielle Dinge: Wir brauchen eine übergreifende Datenbank, die die Vernetzung mit übergeordneten Nachweissystemen sicherstellt, man denke etwa an Plattformen wie die „Deutsche Digitale Bibliothek“ oder „Europeana“. Wir müssen uns um die Platzproblematik kümmern, da das Archiv mittlerweile so stark angewachsen ist, dass der derzeitige Raum nicht mehr ausreicht. Wir wollen unseren Auftritt, also das Corporate Design überarbeiten. Und wir müssen zusehen, dass wir unseren Mitarbeiterstab weiterentwickeln. Darüber hinaus wollen wir uns aber natürlich auch inhaltlich mit unserem Archivgut beschäftigen, wobei eine enge Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule angedacht ist, die nächstes Frühjahr eine documenta-Professur besetzen wird. Jérôme: Wie ist der aktuelle Stand für das gemeinsam mit der Universität Kassel geplante außeruniversitäre documenta-Institut? Jooss: Die schon erwähnte documenta-Professur wird eng zusammen mit dem documenta-Archiv zusammenarbeiten und es ist geplant, beide zu einem sogenannten documenta-Institut zusammenzufassen. So soll auch zwischen den documenta- Jahren das Thema durch Projekte und Forschungen aktuell gehalten werden. Unbedingt wünschenswert wäre es natürlich, wenn dieses geplante documenta Institut neue Räumlichkeiten erhalten würde, wo wir dann endlich keine Platzprobleme mehr hätten. Wir hoffen alle, dass sich diese Idee realisieren lässt. Jérôme: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am Besten? Jooss: Die Frage lässt sich nur schwer beant - worten, da gerade das Zusammenspiel aus allen Komponenten den Reiz der Arbeit ausmacht. Natürlich ist es besonders befriedigend, wenn man ein schönes Projekt, etwa eine Ausstellung oder einen digitalen Auftritt erfolgreich abschließen kann, aber auch die Basisarbeit im Hintergrund, so etwa konzeptionelle Überlegungen, wie man mit der Datenflut und ihrer Aufbereitung umgeht, ist eine – wie ich finde – aufregende Herausforderung. Jérôme: Welche Person aus der Vergangenheit würden Sie gerne treffen? Haben Sie Vorbilder? Jooss: Ein einzelnes Vorbild zu benennen fällt mir schwer. Aber für ein Treffen einer Person aus der Vergangenheit würde mir sofort jemand einfallen: Johann Wolfgang von Goethe. Er war so ein unglaublicher Universalist, in allen Bereichen dermaßen neugierig und gebildet, der dennoch nicht sein Privatleben vernachlässigt hat. Das ist sicherlich die Person, die ich am meisten bewundere. Jérôme: Wie schaffen Sie den Ausgleich zu Ihrem beruflichen Alltag? Jooss: Ich versuche immer, auch in meinem beruflichen Alltag stets das Positive überwiegen zu lassen. Das gelingt natürlich nicht durchweg. Ausgleich finde ich in verschiedenen Bereichen: in der Bewegung – so bin ich sehr begeistert vom schönen Umland Kassels, wo man wunderbar wandern gehen kann –, im Kulturellen – ich gehe gerne ins Kino, ins Theater oder in Ausstellungen – oder aber auch im Privaten, im Familien- und Freundeskreis. Jérôme: Haben Sie bereits einen Lieblingsplatz in Kassel? Fühlen Sie sich in Kassel schon heimisch? Jooss: Kassel hat mich sehr freundlich aufgenommen. Ich habe im documenta Archiv ein sehr nettes Team vorgefunden und festgestellt, dass die Bürgerinnen und Bürger der Stadt dem Archiv gegenüber sehr aufgeschlossen und zugewandt sind. Somit kann ich sagen, dass ich gut hier angekommen bin. Einen Lieblingsplatz kann ich nicht explizit benennen, begeistert bin ich von den Karls- und Fuldaauen. Jérôme: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch und wünschen Ihnen und Ihrem Team für die Zukunft und die spannenden Aufgaben alles Gute. Zur Person: Birgit Jooss promovierte 1998 in München nach einem Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Kunstpädagogik an der Ludwig- Maximilians-Universität über „Lebende Bilder, Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit“. Bis ins Jahr 2000 arbeitete sie im Ausstellungs- und Museumskontext im Deutschen Historischen Museum, Berlin, im Museum Villa Stuck, München, und im Schlossmuseum Murnau. Sie war bis 2007 Leiterin des Recherchebüros eurinos, kunst- und kulturrecherche, und wirkte an der Akademie der Bildenden Künste München wissenschaftlich an der Vorbereitung von deren 200-jährigem Jubiläum im Jahr 2008 mit. Bis 2009 studierte Jooss zusätzlich Archivwissenschaften an der Fachhochschule Potsdam. Von 2007 bis 2015 war sie Leiterin des Deutschen Kunstarchivs im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und im gleichen Jahr Direktorin des Archivs der Akademie der Künste, Berlin. Seit 2016 ist Birgit Jooss nun die neue Direktorin des documenta Archivs. Foto: © documenta Archiv / Foto: Ryszard Kasiewicz Auf zu neuen Ufern Von Kathrin Bode


Jerome_45_2016
To see the actual publication please follow the link above