Ausgelassen & ausgelastet: Das „Kulturzelt“ schreibt erneut Musikgeschichte

Ein leicht fröstelndes Vorgefühl beschleicht „Kulturzelt“-Macherin Angelika Umbach schon, wenn sie an die kommende, 26. Spielzeit des aus Kassels Kulturgeschehen längst nicht mehr wegzudenkenden Musikfestivals denkt: „Letztes Jahr habe ich an manchen Tagen immerhin Skipullover und Moonboots tragen müssen“, erinnert sich die engagierte Kulturschaffende, die gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Lutz Engelhardt für die Konzeption und Durchführung der vom 6. Juli bis zum 19. August veranstalteten Konzertreihe verantwortlich ist. Doch selbst das nicht planbare Wetter ist inzwischen – zumindest für die Festivalbesucher, die ja nicht mit dessen Organisation ringen müssen – ein geringerer Risikofaktor. Denn der vor zwei Jahren nach eigenen Vorgaben konstruierte „mobile Konzertsaal“, dem das zuvor jeweils nur geliehene Zirkuszelt weichen musste, hält selbst Windstärke 12 stand und kann zudem wohltemperiert werden; kein Wunder, dass die meisten Besucher ihre Karten daher bereits getrost im Voraus buchen: „Wir haben eine rund 90-prozentige Auslastung“, so Angelika Umbach. Das in unbestuhltem Zustand bis zu 900 Gästen Platz bietende „Kulturzelt“ sei gegenwärtig eine der ersten Adressen für Konzerte dieser Größenordnung, berichtet die Veranstalterin nicht ohne Stolz, mit Konditionen „besser als in Berlin“, was wohl auch dazu beitrage, dass – selbst in den „documenta-freien“ Jahren – rund die Hälfte der „Kulturzelt“-Besucher dieses zum Teil von weit außerhalb ansteuere. „Das Gros unserer auswärtigen Gäste kommt aus dem Ruhrpott, aus Südhessen, Niedersachsen und vor allem aus Skandinavien“, berichtet die Musikfreundin, die mit ihrem ganz privaten Geschmack eher der Electro-Szene verhaftet ist, was auf die Künstlerauswahl allerdings keinen Einfluss habe. So sei das Programm in diesem Jahr vor allem auf junge, neu zu gewinnende Besucher ausgerichtet, „denn wir wollen da nicht mit dem Publikum altern, wollen wach bleiben“ – wach für neue musikalische Impulse.

Am 16. Juli startet das 26. Kulturzelt in Kassel. Quelle: Kulturzelt

Die „13“ als Schicksalszahl
Bei der Auswahl der Künstler, bei denen man früher zumeist auf deren eher zufällig in den passenden Zeitrahmen fallende Tourneepläne angewiesen war, kämen den Veranstaltern heute die stark gefallenen Flugpreise entgegen, sagt Angelika Umbach. „So reisen zum Beispiel Bernhoft, Raul Midón und Agnes Obel extra für ihren Auftritt im Kulturzelt an“ – der Soul-Sänger und Multi-Instrumentalist Jarle Bernhoft aus Norwegen, der Sänger, Gitarrist und Songwriter Raul Midón aus New York, und die stilistisch zwischen Katie Melua und Feist einzuordnende Sängerin und Komponistin Agnes Obel aus Dänemark. „Agnes Obel hat auf unsere Anfrage hin sofort zugesagt“, erzählt Angelika Umbach. „Denn sie wollte ohnehin nach Kassel, um hier die documenta zu sehen.“ Mit Bezug auf diese, 13. Weltkunstausstellung habe sie sogar ihr Konzert mit einer „13“ betitelt. Am Eröffnungsabend betritt mit den „Urban Mash Up All Stars“ zuvor eine Band die Bühne, die überdies eigens für ihren Auftritt im „Kulturzelt“ zusammengestellt wurde. Ihre Soul- und Funk-erprobten Mitglieder sind in den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen verwurzelt und haben sonst jeder für sich ihr eigenes Publikum. „Ich hoffe nur, sie nutzen die gemeinsame Probenzeit vorher gut …“, hält Angelika Umbach für eine nur scheinbar bange Sekunde inne. Denn echte Profis, wie sie und die kurzfristigen „All Stars“, verstehen ihr Geschäft natürlich und parieren auch den Risiken und Herausforderungen eines solchen Premieren-Abends gekonnt.

The Urban MashUp All Stars mit dabei: Cassandra Steen. Foto: Kulturzelt Kassel

Je t’aime – endlich live?
Sollte man die Stars des „Kulturzelt“-Programms tatsächlich an den leicht erhöhten, indes immer noch extrem moderaten Eintrittspreisen erkennen, so wären dies in diesem Jahr der österreichische Liedermacher und „Alpenrocker“ Hubert von Goisern, der als Einziger gleich zwei Auftritte hat – am Mittwoch, 15. August, und Donnerstag, 16. August – sowie der von der Queen in den Adelsstand erhobene Sänger Sir Bob Geldof (ehemals „Boomtown Rats”) – zu Gast am Freitag, 20. Juli – vor allem jedoch Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin, eine Ikone der 60er Jahre, in denen sie für Furore sorgte, insbesondere mit dem gestöhnten Liebeslied „Je t’aime … moi non plus“, aus der Feder ihres sie dabei stimmlich begleitenden Ehemanns Serge Gainsbourg, dessen Chansons sie am Freitag, 27. Juli, im „Kulturzelt“ vortragen wird. Da sich die Mehrzahl der „Kulturzelt“-Künstler indes – wie eigentlich immer – einer derart klaren musikalischen Verortung entzieht, sind erste Einblicke in deren Œuvre vorzugsweise über die auf der Website www.kulturzelt-kassel.de platzierten YouTube-Musikvideos zu gewinnen.

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