Boshaft oder genial?

Martin Sonneborn zu Gast in Kassel
Hörsaal 2, mit über zweihundert Plätzen einer der größten Hörsäle im Campus Center der Universität Kassel, war bis zum Bersten gefüllt. Selbst auf den Treppen stapelten sich die Menschen, auch Stehplätze waren nicht mehr zu bekommen. Kein Wunder: Zu Gast war Martin Sonneborn.

Martin Sonneborn spricht an der Universität Kassel. Foto: Paul Bröker

Martin Sonneborn spricht an der Universität Kassel. Foto: Paul Bröker

Sonneborn war am der Einladung des Studierendenmagazins „Medium“ gefolgt, um in Kassel von seinem Werdegang als Satiriker und als Politiker zu berichten. Seinen Vortrag hatte Sonneborn dem Veranstaltungsort gemäß analog zu einer klassischen Vorlesung aufgebaut. Die Inhalte allerdings dürften der einen oder dem anderen der anwesenden Studierenden ein wenig unterhaltsamer aufbereitet vorgekommen sein. Unterstützt durch an die Wand gebeamte Bilder und Filme kramte er Perlen der Aktionssatire aus seiner Zeit als Chefredakteur des Satiremagazins Titanic hervor, bevor er zu seinem Wirken als Vorsitzender der Partei Die PARTEI und schließlich als Mitglied des Europäischen Parlaments kam.

Titanic
Satiriker sein, „das ist eine Charakterfrage“, sagt Martin Sonneborn, geboren 1965 in Göttingen. Eigentlich ist er gelernter Krankenversicherungskaufmann. Die Lehre schloss er jedoch nach eigener Aussage nur ab, um Anspruch auf BAFög zu haben. „Ich wusste schon nach drei Tagen, dass ich so etwas nie machen will.“ Mit „so etwas“ meinte er nicht nur konkret den Beruf, sondern auch ein Leben im „gutbürgerlichen Milieu“. So ließ er die Aussicht auf eine solide Lebensplanung fahren, denn lieber wollte er „provozieren, kommentieren, aufdecken, attackieren, pubertäre Streiche aushecken“ (FAZ). Das Titanic-Magazin bot ihm hierfür die geeignete Plattform. 1995 wurde er Redakteur und erfüllte damit wohl seinen Berufswunsch. Denn bereits als Schüler hatte er das Blatt gelesen, vor allem beeindruckt von den Texten Hans Zipperts. Auch seine Magisterarbeit – nach der Ausbildung studierte er noch Publizistik, Germanistik und Politikwissenschaft– hatte das „endgültige Satiremagazin“ zum Thema. Fortan machte er vor allem durch medienwirksame Aktionen auf sich aufmerksam, was ihm in den Feuilletons den Titel „Deutschlands boshaftester Satiriker“ einbrachte.

So begann Sonneborn dann auch seinen Auftritt mit Präsentation verschiedener Titanic-Titel, die anschaulich illustrierten, auf wen es das „endgültige Satiremagazin“, dessen Mitherausgeber Sonneborn mittlerweile ist, abgesehen hat: Auf alles und jeden nämlich, von Prominenten bis Politikern über Großunternehmen und Institutionen bis hin natürlich zu den Weltreligionen.

Die PARTEI
Auch die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“, kurz Die PARTEI, war selbstredend Thema. Diese gründete Sonneborn im Jahr 2004 gemeinsam mit weiteren Titanic-Redakteuren und schuf sich damit eine weitere Spielwiese für Aktionssatire, von der er es sich nicht nehmen ließ zu erzählen. Er zeigte etwa Plakatkampagnen, die dem Phänomen „Wahlkampf“ immanente Absurditäten offenbarten und Videos in denen er schonungslos Vorurteile und Unwissen seiner Gesprächspartner aufdeckte.

In solcherlei Aktionen nimmt Die PARTEI – und allen voran ihr Bundesvorsitzender Martin Sonneborn – den Polit-Zirkus auf allen Ebenen aufs Korn. Die Satirepartei selbst etwa bekennt sich demonstrativ zum Populismus. „In der Politik wird heutzutage geäußert, was Stimmen bringt, und das werden wir auch tun. Ich finde es schließlich besser, wenn wir die Stimmen bekommen als irgendwelche Rechtsradikale“, sagt Sonneborn.

Die FAZ sieht Die PARTEI „irgendwo zwischen Satire und politischer Willensbildung angesiedelt“. Oftmals wird Sonneborn als „Polit-Clown“ betitelt, nicht bestreiten lässt sich jedoch, dass sie mittlerweile mehrere tausend Mitglieder und Landesverbänden in allen 16 Bundesländern vorzuweisen hat. Vor allem junge Leute fühlen sich von ihrem Programm angesprochen.

2005 trat die PARTEI erstmals zur Bundestagswahl an und errang 18.000 Stimmen. Mandate erlangte sie bisher bei einigen Kommunalwahlen sowie eben bei der Europawahl in Deutschland 2014.

Im Europaparlament
Nun sitzt der „Ungekrönte König der deutschen Satire“ (Neue Presse Hannover) also im Europaparlament – und auch von dort hatte er einiges zu berichten. Videos – wie aus der zehnteiligen Kolumne „Sonneborn rettet die EU“, die von 2014 bis 2016 im RTL-Magazin „Spiegel TV“ zu sehen war, demonstrierten etwa, wie er den politischen Betrieb von innen heraus provoziert. In Interviews und fingierten Reportagen führt er seine Abgeordneten-Kollegen vor und deckt Lücken im System auf. Der Titel ist der Reihe „Sonneborn rettet die Welt“ entlehnt, die 2013 bei ZDFneo lief und mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Die Videos sind neben anderen artverwandten Videos auch auf Sonneborns eigenem YouTube-Kanal zu sehen, dessen Klickzahlen in die Millionen gehen.

Besondere Aufmerksamkeit erlangte Sonneborn in den Jahren 2014 und 2015 jedoch in Berlin mit zwei „Geldverkaufsaktionen“ zur Weihnachtszeit. Während 2014 im Austausch für 105 Euro 100 Euro in bar und zwei Postkarten gab, wurde 2015 der Hunderter – genaugenommen ganze 2000 Stück davon – nur noch für je 80 Euro angeboten. „Nach dem großen Erfolg der ersten Verkaufsrunde, war man sich in der PARTEI einig, dass es Zeit wird, den Bürgern etwas zurück zu geben“, ließ Die PARTEI in guter alter Populisten-Manier verlauten. Ziel der Aktion war es, eine Schwachstelle des Parteienfinanzierungsgesetzes aufzudecken, die zuvor schon die AfD ausgenutzt hatte: Kleine Parteien können mehr staatliche Zuwendungen kassieren, wenn sie hohe Einnahmen aus eigenen Aktivitäten nachweisen. Ausschlaggebend war lange allein der Umsatz, nicht der Gewinn.

Bis 2019 noch sitzt Sonneborn im Europaparlament – dann wird gewählt. Es wird sich zeigen, ob es der PARTEI und ihrem Vorsitzenden erneut gelingen wird, ein Mandat zu erringen und das Parlament ein wenig aufzumischen.

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