Ernst genommen werden ist alles

Jacob-Grimm-Preis für Dieter Nuhr

Allein schon dem überraschenden Umstand, dass er dieses Mal ausnahmsweise nicht von Stadträtin Brigitte Bergholter vertreten wurde, war zu entnehmen, dass Oberbürgermeister Bertram Hilgen seine ansonsten stets in größtmöglicher Dezenz ausgeübte Zweitfunktion als Kulturdezernent offensichtlich zu diesem Anlass ganz ernst nahm – wenngleich sein Auftritt dann doch auf dem Feld des Humors stattfinden sollte. »Man sagt Dieter Nuhr nach, er sei für Comedy nicht doof genug und fürs Kabarett zu lustig«, führte Bertram Hilgen in seiner von erkennbar guter Laune getragenen Laudatio aus. »Tatsächlich gelingt ihm scheinbar spielend der Spagat zwischen Kabarett und Comedy, ohne zu verunglücken. Anderen reicht bereits ein Genre, um darin zu scheitern. Er hat beides miteinander versöhnt, was ihm als bislang einzigem Künstler sowohl den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett als auch den Deutschen Comedypreis einbrachte – von der Krefelder Krähe, dem Eselsorden der Stadt Wesel oder der Bocholter Pepperoni und zahlreichen weiteren Auszeichnungen ganz zu schweigen.« Nachdem er sich zuvor bereits als privater Nuhr-Sympathisant zu erkennen gegeben hatte, trotz, wie zu hören war, offenbar höchst eingeschränktem Fernsehkonsum (»Deshalb will es etwas heißen, wenn der Oberbürgermeister Ihnen offenbart, dass er Dieter Nuhr kennt und schätzt«), referierte er diesem zudem noch eine Kostprobe seiner profunden – und sicher noch bei anderer Gelegenheit spontan abrufbaren – Grimm-Kennerschaft: »Der Witz stand übrigens zu Zeiten der Brüder Grimm begrifflich für Verstand und Klugheit, was man in ihrem Deutschen Wörterbuch auf 32 Seiten nachlesen kann.«

Belohnt von König Bertram

Ausnahmekünstler: Nur Dieter Nuhr erhielt bislang sowohl den Deutschen Kleinkunstpreis für Kabarett als auch den Deutschen Comedypreis. Foto: Mario Zgoll

Ausnahmekünstler: Nur Dieter Nuhr erhielt bislang sowohl den Deutschen Kleinkunstpreis für Kabarett als auch den Deutschen Comedypreis. Foto: Mario Zgoll

Hilgen weiter: »Die frühesten Belege, die im Wörterbuch zusammengetragen wurden, zeigen den Witz als intellektuelle Begabung, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kennzeichnete er geradezu das dichterische Vermögen. Es gehört allerdings zum Wesen des Witzes, dass er ein Publikum voraussetzt. Denn „für sich allein ist man nicht witzig“, bemerkte Goethe. Deshalb, frei nach Shakespeare in der im Deutschen Wörterbuch zitierten Übersetzung von August Wilhelm Schlegel: „Witz soll nicht unbelohnt bleiben, so lang ich König in diesem Lande bin“.« Sprach’s – und ließ schließlich doch andere den mit 30.000 Euro dotierten Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache an den Künstler überreichen, der sich mit einem 30-Minuten-Auftritt der Erwiderung bedankte. Diesem ging ein kurzer Fototermin an einem großformatigen Jacob-Grimm-Porträt voraus, vom Preisträger angekündigt mit den Worten: »Ich stelle mich mal vor den Kollegen …« Schließlich am Rednerpult positioniert, erläuterte Dieter Nuhr zunächst die puristische Natur seiner Auftrittsweise – »keine Leinwand, keine Pyrotechnik, keine Musik, nur Sprache« –, die dennoch höchst erfolgreich sei, denn »trotzdem kommen jeden Abend sehr, sehr viele Leute, obwohl es nichts zu sehen gibt. Nur Worte.« Allein das beweise, „dass das ganze Gerede – dass die Leute nicht mehr zuhören, dass die Leute ganze Sätze gar nicht mehr verstehen –, dass das alles großer Blödsinn ist. Die meisten verstehen klare Sätze sehr gut.«

Zweiter von rechts neben dem „Kollegen“: Dieter Nuhr bei der Verleihung des von der Eberhard-Schöck-Stiftung und dem Verein Deutsche Sprache ausgelobten Jacob-Grimm-Preises auf der Bühne des Kongress Palais Stadthalle. Foto: Mario Zgoll

Zweiter von rechts neben dem „Kollegen“: Dieter Nuhr bei der Verleihung des von der Eberhard-Schöck-Stiftung und dem Verein Deutsche Sprache ausgelobten Jacob-Grimm-Preises auf der Bühne des Kongress Palais Stadthalle. Foto: Mario Zgoll

Schlimm für Holland
»Ich habe in den 27 Jahren, in denen ich jetzt auf der Bühne stehe, gelernt: Die Leute interessieren sich dafür, wenn jemand was zu erzählen hat, über die Welt und die Dinge an sich.« Er beschäftige sich auf der Bühne mit grundsätzlichen Dingen, »weil ich auch glaube: Das ist die Aufgabe der Komiker, das zu tun. Weil die anderen Leute, die es ernst versucht haben, die Welt zu verstehen, in den meisten Fällen versagt haben.« Eines der dabei von ihm gestreiften Kernprobleme: »Der Mensch ist heute so weit entwickelt, dass er in der Lage ist, sogar mit einzelnen Wörtern zu lügen. Das geht zum Beispiel los mit Begriffen wie „Klimaschutz“. Also: Wenn das Klima Schutz bräuchte … Wenn der Meeresspiegel steigt: Das ist doch dem Klima egal. Es ist schlimm für Holland. Die Fische freuen sich, wenn sie mal aus den Grachten rauskommen …« Zum Abschluss der im Kongress Palais Kassel veranstalteten Preisverleihung betonte Dieter Nuhr, »dass ich mich über diesen Preis besonders gefreut habe – vielleicht so viel wie kaum über einen anderen Preis, den ich jemals bekommen habe –, weil: Meine Preise habe ich dafür bekommen, dass ich „lustig“ bin, Comedy-Preise habe ich bekommen … Dieser Preis ist mir verliehen worden, weil das, was ich auf der Bühne gesagt habe, ernst genommen worden ist – und das ist insgeheim das, was ich mir ab und zu wünsche. Dankeschön!«

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