„Alles wäre besser, wenn man mehr ginge“

In schöner Tradition hatte die Kasseler Sparkasse ihre Kunden und Gäste aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Kultur in die Kundenhalle an der Wolfsschlucht eingeladen und es wurde der neue Sammelband „Alles ginge besser, wenn man mehr ginge? Vom Gehen, Spazieren, Wandern und Pilgern in der Region Kassel“ gemeinsam mit dem Kasseler Euregioverlag vorgestellt.

V.l.: Sparkassenvorstandsmitglieder Ingo Buchholz, Wolfram Ebert, Herausgeber Karl Waldeck, Verlegerin Renathe Matthei und Vortragsredner Dr. Josef Hesse. Dahinter Dr. Ralf Beinhauer und Jochen Johannink Vorstandsmitglieder Kasseler Sparkasse. Foto: Harry Soremski

V.l.: Sparkassenvorstandsmitglieder Ingo Buchholz, Wolfram Ebert, Herausgeber Karl Waldeck, Verlegerin Renathe Matthei und Vortragsredner Dr. Josef Hesse. Dahinter Dr. Ralf Beinhauer und Jochen Johannink Vorstandsmitglieder Kasseler Sparkasse. Foto: Harry Soremski

Das Thema der 38. Veranstaltung der Reihe „Die Region trifft sich – die Region erinnert sich“ regte die Gäste schnell zur Reflexion in puncto eigene Verhaltensweise beim Gehen, Spazieren oder Wandern an und schnell war man sich einig, dass zu wenig zu Fuß gegangen wird. Dabei ist die Region Nordhessen reich an Möglichkeiten, Orten und Wegen, um sich auf das Gehen, Spazieren, Wandern und Pilgern einzulassen.

Jahr für Jahr begeben sich Hunderttausende auf den Jakobsweg
Das zeigt sich an historischen und zeitgenössischen Pilgerwegen genauso wie beispielsweise an dem Universalgelehrten und besessenen Wanderer Jürgen von der Wense, der mehr als 40.000 Kilometer zu Fuß zurücklegte, bis zum Architektursoziologen Lucius Burckhardts, der an der Universität Kassel lehrte und als Begründer der „Spaziergangswissenschaften“ gilt. All diese Geschichten vereint der neue Sammelband, der kenntnisreich das „Unterwegs sein“, nachzeichnet. Der erste Teil des von Herausgeber Karl Waldeck veröffentlichten Bandes widmet sich einem der großen Zeitgeistthemen – dem Pilgern. Pilgern als globales, religionsübergreifendes Phänomen, dessen Faszination nicht mehr nur religiösen Menschen erliegen. Jahr für Jahr begeben sich Hunderttausende auf den Jakobsweg oder andere Pilgerwege und sind auf der Suche nach Neuorientierung, Einfachheit, Alltagsausbruch und Entschleunigung.

Das Thema nahm Sparkassen-Vorstandschef Ingo Buchholz in seinen Begrüßungsworten zum Anlass, eine Frage zu beantworten, die bereits durch die Gästeschar raunte: Nämlich die berechtigte Frage, ob nach dem glamourösen Auftritt der Schauspielerin Iris Berben im Vorjahr nun endlich der Schauspieler und Autor Hape Kerkeling („Ich bin dann mal weg“) den Vortrag des Abends halten werde. Dieses verneinte Buchholz schnell und lieferte aber sogleich eine einleuchtende Begründung: Weder Santiago de Compostela noch die Heimatstadt Recklinghausen von Hape Kerkeling lägen im Geschäftsgebiet der Kasseler Sparkasse – und auf dieses müssen sich die Aktivitäten des Instituts laut der Satzungen beschränken. Aber Buchholz verwies zugleich auf eine sehr glückliche Fügung: Kassel selbst hat einen Pilgerbuchautor hervorgebracht, dessen Ausführungen über den Jakobsweg in der Region hohe Beachtung gefunden haben: Der Oberzwehrener Allgemeinmediziner Dr. Josef Hesse hat den Jakobsweg auf 800 Kilometern von den Pyrenäen bis Santiago de Compostela selbst erlebt – berufsbedingt aufgeteilt auf drei Jahre und drei Etappen – und dann darüber ein 2008 erschienenes Buch geschrieben. Seit diesem Zeitpunkt ist Hesse mit Lesungen in der Region anzutreffen.

Nur Mut, wenn es darum geht, einmal aus den alltäglichen Routinen auszubrechen
Auch bei der Veranstaltung der Reihe „Die Region trifft sich – die Region erinnert sich“, erzählte der Mediziner in bewegenden Worten von seiner Erfahrung mit dem Abenteuer des Zu-Fuß-Wandern und wie ihn diese Reise verändert hat: „ Nach 800 Kilometern Wanderung in drei großen Etappen konnte ich im Herbst 2006 Santiago de Compostela erreichen. Nun war nicht mehr der Weg das Ziel, sondern das Ziel selbst war erreicht. Es war ein großartiges Gefühl, endlich angekommen zu sein. Ich fühlte mich belohnt, für all die Mühen und Strapazen. Ich hatte meine alltägliche Landschaft verlassen, und konnte aus der Andersartigkeit meines sonstigen Lebens auf mich schauen und meinen persönlichen Stellenwert in der Familie, in der Gesellschaft und in dem Beruf erkennen. Die Wege des Jakobswegs waren alles andere als leicht. Es galt, Berge und Pässe zu erklimmen, rutschige Abstiege zu meistern, seelen- und menschenlose Landschaften zu durchlaufen.

Es war eine große körperliche wie mentale Herausforderung, allein auf diesen schwierigen Pfaden, mit täglichen Etappen zwischen 20 und 45 Kilometern, unterwegs zu sein. Ich hatte Blasen an den Füßen, Verletzungen in Muskeln und Gelenken. Wenn es mir seelisch nicht gut ging, beispielsweise aufgrund von Hunger, Durst, Schmerzen, schlechtem Wetter, zu wenig Schlaf oder auch Einsamkeit, fragte ich mich, warum ich mich eigentlich auf diesen Weg gemacht hatte, warum ich nicht gerade jetzt daheim entspannt bei einer duftenden Tasse Kaffee sitzen würde? Aber ich war hier, auf einem von mir selbstgewählten schwierigen Weg.“

Aufgebrochen war Hesse nicht aus religiösen Gründen, sondern aus einer erschwerten Lebenssituation heraus. Sein abschließender Rat an das Auditorium in der Kundenhalle an der Wolfsschlucht: Nur Mut, wenn es darum geht, einmal aus den alltäglichen Routinen auszubrechen. Nach diesen bewegenden und beeindruckenden Worten trafen sich die Gäste zum gesellschaftlichen Teil des Abends, vertieften die Gespräche in ihren Netzwerken und lauschten dem Saxophon-Quartett Sistergold.

Weitere Informationen zum Sammelband
„Alles ginge besser, wenn man mehr ginge? Vom Gehen, Spazieren, Wandern und Pilgern in der Region Kassel“
Die Beiträge der Publikation schrieben Renate Buchenauer, Manfred Gerland, Dieter Heim, Volker Knöppel, Detlef Lienau, Annika Ludolph, Silke Renner-Schmittdiel, Jürgen Römer, Cordula Schmitt, Martin Schmitz, Günter Törner, Christian Trappe, Karl Waldeck und Annika- Christine Weisheit. Der erste Teil ist dem Pilgern gewidmet. Untersucht wird Pilgern als globales, religionsübergreifendes Phänomen und der (tiefere) Sinn des Pilgerns. Neben den historischen Pilgerwegen nach Gottsbüren und Pilgern im mittelalterlichen Niederhessen stellen heutige Pilger ihre Wege vor – in Nordhessen und in der Ferne. Spazierengehen und Wandern sind die Themen der Beiträge über die Spaziergangswissenschaft Lucius Burckhardts und die Wanderjahre mit Jürgen von der Wense. Der „Berlin–Moskau“-Wanderer Wolfgang Büscher berichtet über seine Jugend in Nordhessen, Erinnerungen, die Motivation zum Wandern. Ein Serviceteil soll zum Wandern und Pilgern in der Region Nordhessen anregen.

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