Mann des Wortes, Mann der Tat – Zum Tode von Kassel Marketing-Chef Knut Seidel

Hinterm Horizont geht’s weiter … – Bei dem sich an die Verleihung des Jacob Grimm-Preises Deutsche Sprache an Deutsch-Rocker Udo Lindenberg anschließenden Empfang im Oktober 2010 trafen und unterhielten wir uns zum letzten Mal, eher beiläufig und freundlich kurz gefasst, wie es gesellschaftliche Ereignisse dieser Größenordnung fast zwangsläufig mit sich bringen. Ein Händedruck, ein Blick, und wir wussten, oder glaubten es in diesem Moment zumindest: Für eine unserer nächsten, substantielleren Unterredungen würde sich schon bald ein besserer Zeitpunkt, ein geeigneterer Rahmen finden.

Knut Seidel 2008 auf dem Kasseler Friedrichsplatz. Foto: Jan Hendrik Neumann

Knut Seidel 2008 auf dem Kasseler Friedrichsplatz. Foto: Jan Hendrik Neumann

Den dieser Veranstaltung perfekt angemessenen Rahmen hatte Knut Seidel noch kurz zuvor selbst in Händen gehalten, bevor er ihn dem nun als Grimm-würdig ausgezeichneten Sänger überreichte: einen Bilderrahmen, bestückt mit einem Foto Udo Lindenbergs, aufgenommen am 6. Januar 1990, bei dessen erstem Konzert in der DDR, im Suhler „Kultur- und Sportzentrum/Stadthalle der Freundschaft und Kulturhaus“. Deren Direktor war zu diesem Zeitpunkt Die-ter Spieker, der Knut Seidel wenige Jahre zuvor aus einer Tätigkeit herausgeholt hatte, „in der der energiesprühende, kritische junge Mann wohl eingegangen wäre wie eine Primel“, wie es einem Internetportal zu entnehmen ist. Fortan wurde Knut Seidel, der Kulturwissenschaften studiert hatte, zu Spiekers engstem Mitarbeiter, und gemeinsam ermöglichten sie in der Suhler Stadthalle die Gründung der „Galerie am Herrenteich“, einer Anlaufstelle für junge Künstler aus ganz Südthüringen, die federführend von Knut Seidel geleitet wurde. In deren Räumlichkeiten, zu denen sogar eine kleine Cafeteria gehörte, wurden jedoch nicht nur Kunstwerke gezeigt, sondern ebenso Lesungen veranstaltet und Musikabende – ein vom Chefdirigenten der Philharmonie gestifteter Flügel trug dazu nicht unerheblich bei. Auch das 1989 in der DDR noch verbotene Neue Forum erhielt eine Plattform in der „Galerie am Herrenteich“, die jedoch kurz nach der Wende – von ihrem Leiter mit Wehmut begleitet – abgerissen wurde, um dem Neubau des Congress Centrums Suhl (CCS) zu weichen. Für dessen Marketing war Knut Seidel noch bis zu seinem Wechsel nach Kassel 1998 verantwortlich, doch er führte auch die in neue Räume im CCS verlagerte Galerie weiter und setzte sich ebenso andernorts für die Interessen der thüringischen Künstler ein. So organisierte er etwa im Rahmen einer Kooperation von CCS und Kulturamt 1994 den 5. Suhler Grafikmarkt, bei dem Plastiken, Aquarelle und Grafiken einfach auf den Boden gelegt oder mit Wäscheklammern an Leinen aufgehängt wurden, um damit eine ungezwungenere Atmosphäre zwischen Künstlern und potenziellen Kunstkäufern zu schaffen. Damit auch für ausreichende Kaufkraft gesorgt war, wurden überdies in besonderem Umfang Ärzte, Anwälte und Geschäftsführer eingeladen – ein Konzept, das sich zur Freude der Künstler glänzend bewähren sollte.

Unkonventionelle Ideen, verbunden mit ungezügeltem Tatendrang, kennzeichneten auch sein Wirken in Kassel, wo er zunächst Vertriebsleiter, dann Geschäftsführer des Tagungs- und Veranstaltungszentrums Stadthalle Kassel wurde, im September 2001 schließlich zudem Geschäftsführer der Kassel Service GmbH, die er bald darauf in die kassel tourist GmbH verwandelte, heute als Kassel Marketing GmbH firmierend. Zahllose erfolgreiche Kampagnen zum Wohle der Stadt Kassel und deren Außenwirkung hat er initiiert und vorzugsweise im Rahmen von Kooperationen realisiert, dabei immer das gemeinsame Ziel in den Vordergrund stellend – und nie die eigene Person. Die blieb in ihrem Herzen immer äußerst bescheiden und gänzlich unempfänglich für die Lockrufe exklusiver Zirkel, im Zweifelsfall jedoch auch widerborstig, zur Verteidigung als richtig eingeschätzter Positionen. Und daher war es kaum verwunderlich, dass uns gleich zu Beginn unseres Kennenlernens ein zur beiderseitigen Überraschung bemerktes, gemeinsames Stück Heimat spontan verband, über alle beruflichen Belange hinweg: Knut Seidel war nämlich 1954 in der thüringischen Spielzeugstadt Sonneberg geboren worden, wie 25 Jahre zuvor meine Mutter, für die ich bis zur Grenzöffnung auf Floh- und Sammlermärkten jahrelang nach Fotos und Postkarten ihrer für immer verloren geglaubten Heimatstadt gesucht hatte – nun, vergrößert, waren auch sie vereint, in einem Album. Das lieh sich Knut Seidel sofort begeistert aus, nicht zuletzt, um es seiner eigenen Mutter zu zeigen. Zuvor eher verblasst, begannen meine Thüringer Wurzeln plötzlich wieder Kontur anzunehmen. Nicht nur dafür:

Danke, Knut.

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