Ab dafür – Bernd Giesekings satirischer Jahresrückblick 2011

Nicht nur für seine Jahresrückblicke berühmt und berüchtigt: Kabarettist Bernd Gieseking. Foto: Thomas Rosenthal

Nicht nur für seine Jahresrückblicke berühmt und berüchtigt: Kabarettist Bernd Gieseking. Foto: Thomas Rosenthal

Wieder geht ein Jahr zur Neige. Kabarettist Bernd Gieseking führt Protokoll, zieht Bilanz und kommentiert. Wie ein Gefäßchirurg operiert er am offenen Jahr, genussvoll seziert er Peinlichkeiten und Höhepunkte. Das Jahr hat zwölf Monate und der Tag 24 Stunden, ein Kabarettabend hat 90 Minuten und in denen lässt Gieseking das Jahr 2011 Revue passieren. Rasant und rasend, irr und witzig. Seit 18 Jahren zelebriert Gieseking seinen jährlichen Rückblick „Ab dafür!“ Für die Jérôme-Leser brachte Gieseking seine Gedanken zu Papier:

2011 – ein interessantes Jahr, insgesamt auch ein feuchtes. Ich bin nur noch mit Rettungsschirm unterwegs. Ein verregneter Sommer, Putin war tauchen, zu Guttenberg ist baden gegangen und der FDP steht das Wasser bis zum Hals. Putin war auf Pressefotos zu sehen mit Neoprenanzug und Taucherflasche. Zwei Meter tief ist er getaucht. Ich frage mich, ob eine Tauchuhr zwei Meter überhaupt schon anzeigt. Dann ist Putin aufgetaucht mit zwei antiken Vasen, die vor ihm niemand entdeckt hatte! Toll!! Welche Schätze könnten gehoben werden, wenn der Mann sich aufs Tauchen konzentrieren würde!!

Das könnte auch die Rettung für Griechenland sein! Schatztauchen! Schlechter dran als Griechenland sind nur noch die Börse und die FDP. Die Börse und Griechenland würde man gerne retten. Aber was sollen die Griechen jetzt tun? Jede Olive einzeln und zu Höchstpreisen verkaufen? Wenn der Grieche uns nicht nach jedem Essen einen Ouzo spendieren würde, stünde der wirtschaftlich ganz anders da. Das summiert sich! Mein lieber Christos! Da kommt was zusammen!

2011 war das „Jahr der Chemie“ und in Japan sind mehrere Atomreaktoren verunglückt, aber das ist Physik. Wodurch verunglückt? Ausgelöst durch einen Tsunami. Ein feuchtes Jahr, wie gesagt. Physiker sind die einzigen Wissenschaftler, die uns erklären können, wie der Ball ins Tor kommt. Das kann sonst nur noch Lukas Podolski. Weil nicht eine einzige Physikerin in der Frauenfußball-Nationalmannschaft spielt, sind die deutschen Fußballerinnen nicht Weltmeister, sondern vorzeitig ausgeschieden. Auch Lena ist die Titelverteidigung nicht gelungen.

Dafür aber steht die oberste Physikerin der BRD, Kanzlerin Merkel auf der „Forbes Liste“ der mächtigsten Frauen der Welt wieder auf Platz 1. Charlotte Roche, Alice Schwarzer und Ursula von der Leyen sind da gar nicht drauf. Super-Angie rettet Banken, den Euro und Griechenland, sie hilft Kristina Schröder, das Kind zu wickeln und schimpft mit der FDP, wenn die nicht pünktlich ins Haus kommen und zu lange draußen bleiben. Ganz nebenbei schaltet sie täglich ein neues Atomkraftwerk ab, denn die Physikerin weiß seit Fukushima, dass Atomkraftwerke gefährlich sind. Dichter rühmten sie: „Alle Meiler stehen still – weil das die Angela will!“. Vor ihr war noch niemand auf diese Idee gekommen.

Die japanische Atomkatastrophe brachte vor allem Baden-Württemberg ins Wanken. Nun gibt es dort den ersten grünen Ministerpräsidenten, dem in Stuttgart täglich ein großer Bahnhof bereitet wird. Nur bei der Suche nach dem EHEC-Erreger tappte Kommissarin Merkel im Dunkeln. Die Fahndung nach dem EHEC-Verursacher verlief wie im „Tatort“. Ständig neue Verdächtige. Ich selber habe noch Gurken gegessen, als schon Sprossen verdächtig waren. Die Lage war irgendwie unübersichtlich. Das strahlte aus wie Fukushima auf deutsche Wahlergebnisse. Die FDP verwirrte sich. Philip Röslers Flugzeuge landeten auf falschen Flughäfen. Für den war die Lage komplett unübersichtlich. Seit seiner Wahl ein kompletter Blindflug. Manche wünschten sich sogar Westerwelle zurück. Die Medien trugen zur Verwirrung bei: Harald Schmidt ging wieder zu den Privaten. Günther Jauch kam zur ARD, auf den Sonntag, weshalb Beckmann auf den Donnerstag musste, obwohl da schon Maybritt Illner im ZDF den gleichen Gästen dieselben Fragen stellte wie Anne Will am Mittwoch.

Eine leicht krisenhafte Stimmung brach aus, als erst Eisbär Knut starb – in seinem Wasserbecken, denn es ist ein feuchtes Jahr! – und als direkt danach Gottschalk seinen Rücktritt ankündigte. Deutschland wischte sich eine Träne aus dem Auge! Aber dann heiratete Kate ihren Prinz Willie und wir konnten einen ganzen Tag lang auf allen TV-Kanälen die gleiche Hochzeit sehen, die Kuh Yvonne fand auch wieder nach Hause und die FDP bekam einen neuen Bundesvorsitzenden. Eine glückliche Zeit für Deutschland.

Plötzlich hielten alle Züge in Wolfsburg, auch wenn sie normalerweise nur auf der Strecke Stuttgart-Ulm verkehrten. Kein Zug fuhr mehr durch Deutschland, ohne in Wolfsburg zu halten. Sogar die Wehrpflicht wurde abgeschafft! Und – wer hat die Wehrpflicht abgeschafft? Der gute zu Guttenberg! Politisch kurz abgeschrieben, weil er heimlich viel abgeschrieben hatte. Das Leben von zu Guttenberg soll jetzt verfilmt werden, als Satire. War zu Guttenberg also doch nur ein Witz? Oder hat er nur Spaß gemacht? Als zu Guttenbergs Plagiatsaffäre aufflog, hat sich Silvio Berlusconi jedenfalls tot gelacht. „Mama Mia, da habe ich aber schon ganz andere Quellen nicht angegeben!“

Überrascht hat mich dann die Meldung: „Haie fressen auch Spechte!“ Interessant. Aber wie kommt der Hai auf den Baum? Haie auf Bäumen? Die Lage war scheinbar weiterhin unübersichtlich. 2011 war das Jahr der Phänomene. Wissenschaftler fanden heraus: Es gibt ultraleichte Elementarteile, die schneller fliegen, als Einstein erlaubt. Das hebt unsere Welt aus den Angeln! Physiker sind entsetzt! Ist das die Ursache der Euro-Krise? Gestern noch wollten wir Griechenland retten, heute sind unsere Banken in Gefahr. Wie geht das? Aber wir können uns das locker leisten. Denn die Hypo Real Estate (HRE) hat sich verrechnet. Zu unseren Gunsten! Um 55 Milliarden. Die haben wir plötzlich mehr!

Als ich das gelesen habe, hab ich gedacht: „Super, dann muss ich dieses Jahr aber nix mehr machen!“ Diese 55 Milliarden sind nicht länger weniger. Und wenn man dann noch bedenkt, dass diese 55 Milliarden plötzlich keine Schulden mehr sind, dann fallen für die ja auch keine Überziehungszinsen mehr an. Übrigens schon seit Monaten nicht mehr. Seitdem die sich verrechnet haben. Dann sind die 55 Milliarden der HRE viel mehr als 55 Milliarden. Das sind dann ruckzuck einige Tredezillionen. Wir reden hier ja über etliche Fantastilliarden! Ich meine, jetzt fragen Sie sich: „Wie? Woher weiß der Gieseking das?“ Weil ich meinen Dagobert Duck gelesen habe! Und 2012? Bekommt der Euro nasse Füße? Kann Merkel rechnen? Was liegt vor uns? Was wird aus der FDP? Wie teuer wird uns ein Euro? Die Zukunft! Seltsam, nie spricht jemand von ihr im Plural.

Keiner redet von Zukünften. Eine Vielzahl von Zukunft scheint ausgeschlossen. Gibt es gar nicht „verschiedene Möglichkeiten“? Ist alles schon klar? Aber wenn es nur eine Zukunft gibt, was liegt dann vor uns? Wir wissen nur: Die Zukunft ist ungewiss! Muss ich auch 2012 wieder täglich mit dem Schirm raus? Da wir ein feuchtes Jahr hatten, habe ich nur noch eine Frage an die Zukunft: Kann man unter einem Rettungsschirm nass werden? www.satirischer-jahresrueckblick.de

Bernd Gieseking…
… ist Kabarettist, Autor und Ostwestfale. Wenn er nicht auftritt, schreibt er satirische Texte, u.a. für die TAZ, schreibt Theaterstücke und Kinderhörspiele, spricht auf WDR 5 oder moderiert Abende wie z.B. die Verleihung des Deutschen Karikaturenpreises. Im Dezember 2011 startet erneut Giesekings satirischer Jahresrückblick „Ab dafür!“ – inzwischen ein Klassiker im 18. Jahr – mit über 50 Tourneeterminen. Satire und Komik, Kommentar und Nonsens über den alltäglichen Wahnsinn. Eine rasante Achterbahnfahrt durch die letzten 12 Monate. Ein Jahresrückblick von A bis Z, über die Zeit zwischen Januar und Dezember 2011, frech, schnell, sauber, komisch! Aberwitzig und köstlich. Gieseking macht Schnitte, auf die mancher Metzger neidisch ist. Politik, Gesellschaft und Kultur, die elektronischen Medien und die Tagespresse geben immer wieder Stichworte für Sprachwitz und Komik, für groteske Logik und verspielten Unsinn. Gereimt, geschüttelt und gerührt.

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