Wanderer zwischen den Welten

Künstler Sebastian Fleiter ist mit kreativen Geschäftsideen erfolgreich
Kunst und Wirtschaft, das sind für mich zwei Seiten einer Medaille.“ Eigentlich ist Sebastian Fleiter Künstler. Kreativunternehmer lässt er aber auch als Berufsbezeichnung durchgehen, denn die Trennung von Kunst und Wirtschaft ist ihm nicht wichtig. Im Gegenteil: „Ich sehe mich als Wanderer zwischen den Welten.“ Kunst habe zwischen den Stühlen zu sitzen, erfordere eine konstante Abfrage der Realität, allein der Kontext für kreatives Schaffen sei ausschlaggebend. Diese Überzeugung beschert dem 42-Jährigen auch geschäftlichen Erfolg. Denn seine beiden jüngsten Ideen ernten national wie international großes Echo. Gefragt ist nicht nur THE ELECTRIC HOTEL, ein ehemaliger Airstream-Wohnwagen, der jetzt als mobiles Kommunikationskunstkraftwerk quasi zur multimedialen Ladestation für Festivalbesucher in ganz Deutschland auf Reisen ist. Gebucht wird auch sein „stromodrom“, eine riesige Carrera-Rennbahn, die nur per Muskelkraft richtig Fahrt aufnimmt.

Vom Bühnenbildner zum Kreativunternehmer:  Sebastian Fleiter setzt künstlerische Ideen in die Tat um. Foto: Andreas Weber

Vom Bühnenbildner zum Kreativunternehmer: Sebastian Fleiter setzt künstlerische Ideen in die Tat um. Foto: Andreas Weber

800 gefühlte Jahre her
Dabei hat alles ganz anders angefangen: Als ausgebildeter Bühnenbildner arbeitete der gebürtige Hamburger erst in Köln später in London und setzte sich dort früh mit den neuen Medien, Licht und Video, auseinander. „Das ist gefühlte 800 Jahre her“, blickt Fleiter zurück und erinnert scherzhaft: „Irgendwie störte es mich, dass die Schauspieler durch meine Installationen gingen.“ Dann kam Kollege Zufall ins Spiel: Fleiter traf in England Rob Scholte, Kunstprofessor an der Kunsthochschule Kassel und ein „Energiebündel“, das ihn nach Nordhessen lockte. Es folgten hier zwei abgeschlossene Studiengänge in „Freie Kunst“ und „Visuelle Kommunikation“ und danach die Frage: „Gehe ich jetzt nach New York, Rio oder Tokio oder bleibe ich hier.“ Sebastian Fleiter blieb, denn „meine Großstadthörner habe ich mir schon in London abgestoßen“. Erst arbeitete er unter anderem für das Fridericianum und die documenta, 2004 gründete er die Nachrichtenmeisterei im KulturBahnhof. „Spannende Leute an einen Platz zu holen“, reizte ihn. Und das Konzept ging auf, heute arbeiten hier „rund 60 Leute zentral und doch wie auf einem Dorf“ auf mittlerweile über 6.000 Quadratmetern.

Von ihnen zählen heute zwei fest und 20 frei zum Mitarbeiterstab des Kreativunternehmers. Im Einsatz waren sie erst jüngst, als „stromodrom“ seine Premiere auf dem Hessentag hatte und Besuchern die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Denn die XXL-Carrerabahn funktioniert nur durch Muskelkraft auf Fahrrädern, sozusagen selbst erstrampeltem Strom. Dann rasen über die 44 Meter lange Rennstrecke sechs Flitzer um die Wette, ein Vergnügen, das vor allem viele Fahrradkuriere zum Wettstreit lockte. Sebastian Fleiter ist aber nicht nur die gemeinsame Gaudi wichtig, sondern auch die Erkenntnis, dass „alles, was erzeugt wird, eine Ressource braucht.“ Stromerzeugung durch Muskelkraft, also „handgemachte Elektrizität“, sei aktuell das Leitthema seines künstlerischen Schaffens. Für besonders interessant halte er dabei den ersten Schritt, nämlich von keinem zu einem bisschen Strom zu kommen. Schließlich müssten seine Formel-1-Piloten etwa eine Stunde in die Pedale treten, um 100 Watt zu erzeugen. „Das ist schon mal eine Erkenntnis“, grinst Fleiter. Das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin findet das auch und hat „stromodrom“ für den nächsten „Tag der offenen Tür“ gebucht.

Bereits fest auf dem Markt etabliert: Das Elektric Hotel von Sebastian Fleiter. Foto: nh

Bereits fest auf dem Markt etabliert: Das Elektric Hotel von Sebastian Fleiter. Foto: nh

Schon richtig im Geschäft ist seine zweite Erfindung. THE ELECTRIC HOTEL, ein umgebauter US-Airstream-Wohnwagen, reist demnächst sogar zum ersten Mal international auf ein Musikfestival ins Britische Königreich. Mit Solarflächen und Windrad ausgerüstet dient das mobile Kraftwerk dort – wie auch schon in ganz Deutschland – als Stromtankstelle für Handys, I-Pads & Co. Rund 400 Ladestationen befinden sich in ehemaligen Bankschließfächern, die zu diesem Zweck ebenso wie die übrige Ausstattung recycelt wurden. „An einem Tag können wir bis zu 4.000 Handys aufladen“, erklärt Fleiter und fügt hinzu: „ Wenn wir den Stundensatz von 2 Euro pro Ladevorgang als Stromentgeld sehen würden, würden wir sicherlich die teuerste Elektrizität auf diesem Planeten anbieten. Aber es geht ja um die Dienstleistung.“ Dennoch will der Geschäftsmann nicht nur die große Startinvestition refinanzieren, sondern als Künstler auch das Bewusstsein seiner Kunden für Stromerzeugung sensibilisieren. Allerdings ohne erhobenen Zeigefinger. So können die Besucher auf Spinning-Bikes selbst Energie erzeugen und das weltweit erste mobile Pumpspeicherwasserkraftwerk ist seit 2012 ebenfalls dabei. Wenn der Strom selbst generiert wird, ist er selbstverständlich kostenfrei. Bis auf eventuell einen zarten Muskelkater am nächsten Morgen.

Und welche Geschäftslücke soll demnächst kreativ geschlossen werden? „Kleine Generatoren, die unabhängig vom Stromnetz, von Wind, Sonne und Diesel zur Katastrophenhilfe eingesetzt werden können“, kommt es spontan. Doch der Kasseler Künstler weiß aus Erfahrung: „Die Idee ist der erste kleine Schritt. Sie in die Welt zu setzen, die Realisierung, ist das Schwierigste.“

Weitere Informationen unter
www.the-electric-hotel.com

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