Die Energiewende muss wieder Fahrt aufnehmen

Wie steht es mit der Energiewende in Kassel und der Region Nordhessen? Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir Volker Wasgindt, Geschäftsführer der cdw Stiftung gGmbH, zum Interview eingeladen, um mit ihm die Energiewende zu diskutieren.

Volker Wasgindt, Geschäftsführer der cdw Stiftung gGmbH. Foto: Mario Zgoll

Volker Wasgindt, Geschäftsführer der cdw Stiftung gGmbH. Foto: Mario Zgoll

Jérôme Kassel: Die Energiewende ist sicherlich eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wie sehen Sie Ihre Aufgaben und was tut die Stiftung für die Energiewende?

Volker Wasgindt: Wir begleiten die regionale Energiewende aktiv im Rahmen von einigen Projekten und wollen mit unserer Arbeit insbesondere auf der regionalen Ebene mit ihren lokalen Akteuren Impulse für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien geben und motivieren. So dokumentieren wir regelmäßig die regionale Energiewende, beispielweise über unsere Webseite www.energiewende-nordhessen.com, auf der allgemein verständlich und visualisiert der regionale Ausbaustand der Erneuerbaren Energien in Nordhessen dargestellt wird – das ist in dieser Form einzigartig. Mit unserer Kampagne „Keine halben Sachen“ haben wir in sehr verständlicher und einfacher Weise die vielen Möglichkeiten aufgezeigt, wie wir alle im Kleinen und im Großen den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Energiewende vorantreiben können. Zudem haben wir gerade eine Broschüre „Energiewende in Nordhessen – Kommunen als Gestalter“ veröffentlicht: Die Broschüre zeigt neben dem aktuellen Status auf, über welches Ausbaupotential die Landkreise und Kommunen verfügen und welche Zubaumengen noch erforderlich sind, um das 100-Prozent-ziel zu erreichen. Sie gibt zudem einen Einblick, welche Aktivitäten zur Energiewende bereits vor Ort erfolgen. Mit dieser Broschüre wollen wir motivieren und zur Nachahmung anregen. Darüber hinaus übernehmen wir aber auch selbst Investitionen, um Nachahmungseffekte zu generieren.

Jérôme Kassel: Ein weiteres Projekte hat unser Interesse besonders geweckt: die App für das iPad. Wie funktioniert die App?

Volker Wasgindt: Wir haben Mitte des Jahres eine kostenfreie App gestartet, mit der die aktuelle Photovoltaik-Leistung in Deutschland bis auf die regionale Ebene verfolgt werden kann. Ergänzend ermöglicht die App es den Nutzern, die wichtigsten Wetterdaten deutschlandweit und am eigenen Standort in Echtzeit und als Prognose einzusehen. Mit unserer App PV Deutschland möchten wir aufzeigen, welchen Beitrag die Stromerzeugung aus Solarenergie bereits heute zur Realisierung der Energiewende leistet.

Jérôme Kassel: Wo steht Nordhessen denn nun aktuell bei der Energiewende?

Volker Wasgindt: Der Anteil der Erneuerbaren Energien in Nordhessen am Stromverbrauch ist 2015 im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozentpunkte gestiegen auf nunmehr 42 Prozent und erstmals liegen die Solar- und Windkraftanlagen bei der Stromerzeugung mit jeweils rund 35 Prozent unter den Erneuerbaren gleich auf, gefolgt von der Biomasse und mit weitem Abstand der Wasserkraft. Dies ist auf den ersten Blick eine gute Entwicklung. Schaut man aber genauer hin, so stellt man fest, dass der Anstieg nahezu ausschließlich auf den Zubau von Windkraftanlagen zurückzuführen ist. Die Solarenergie hingegen verzeichnet erneut einen massiven Einbruch beim Ausbau. Hier droht die Energiewende zu scheitern, denn gerade die Solarenergie ist ein wesentlicher Pfeiler des zukünftigen Energieversorgungssystems. Nordhessen hat daher insgesamt stark an Fahrt verloren und ist auch im Vergleich zu anderen Regionen zurückgefallen. Doch die Energiewende ist kein Selbstläufer: Unsere Region muss dringend wieder aktiv mehr Tempo aufnehmen.

Jerome Kassel: Was ist die Ursache für diesen Trend?

Volker Wasgindt: Leider hat die Politik mit den letzten Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die Rahmenbedingungen massiv verschlechtert, und potenzielle Akteure sind verunsichert und Investitionen werden zurückgehalten. Dabei lohnen sich Investitionen gerade jetzt, besonders im Bereich der Photovoltaik, da die Preise stark gesunken und Solarstrom vom Dach inzwischen günstiger ist als der Strom vom Energieversorger. Zudem müssen wir leider auch immer wieder feststellen, dass es an Wissen mangelt über die Chancen der Erneuerbaren Energien für jeden Einzelnen. Schließlich stehen die Erneuerbaren Energien für lokale Wertschöpfung und Arbeitsplätze.

Jérôme Kassel: Es kursiert das Gerücht, dass die besten Dachflächen in der Stadt Kassel in den vergangenen Jahren bereits mit Photovoltaikanlagen belegt wurden?

Volker Wasgindt: In der Stadt Kassel stehen rund 30.000 Flächen zur Verfügung, von denen gerade mal 1.000 Flächen für die Solarenergie genutzt werden. Natürlich kann die Stadt Kassel ihren Anteil der Energieversorgung nicht allein stemmen: So muss perspektivisch ein Teil auch durch beispielsweise Windenergie aus dem Landkreisen gedeckt werden. Aber gerade vor diesem Hintergrund sehen wir die Photovoltaik als die große Chance für die Stadt Kassel. Hier kann und muss noch weit mehr umgesetzt werden, nicht nur auf Privatdächern, sondern vor allem auch auf kommunalen und öffentlichen Gebäuden. Dies gilt selbstverständlich auch für viele weitere Städte und Gemeinden der Region.

Jerome Kassel: Welche weiteren Schritte sind aus Ihrer Sicht notwendig, um das 100 Prozent-Ziel in Nordhessen zu erreichen?

Volker Wasgindt: Im öffentlichen Bewusstsein muss stärker verankert werden, dass jeder die Möglichkeit hat, sich an der Energiewende zu beteiligen. Und dass es sich lohnt, zu investieren – sei es, in eigene Anlagen, in Genossenschaften oder Gemeinschaftsprojekte. Wir brauchen mehr Aktivitäten bei der Energieeffizienz und der Sanierung von Gebäuden. Vor allem aber benötigt die Region unserer Ansicht nach eine Roadmap, wie die Vision 100 Prozent Erneuerbare Energien Realität werden kann. Dieser Energiewende-Fahrplan muss für alle Kommunen klare Ziele für die kommenden Jahre und entsprechende Maßnahmen der Umsetzung aufzeigen. Wir haben daher als Stiftung ein weiteres Projekt gestartet, in dessen Rahmen eine solche Roadmap gemeinsam mit allen Akteuren entwickelt werden soll. Immer mit dem Ziel vor Augen: Die Energiewende in jedem Landkreis, in jeder Kommune umzusetzen.

Die cdw Stiftung gGmbH
Die cdw Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die Verbreitung regenerativer Energieversorgungssysteme in Entwicklungsländern voranzutreiben sowie die Region Nordhessen zu unterstützen. Hier steht neben weiteren Themen insbesondere die Energiewende im Fokus der Stiftungsarbeit. Dabei ist sie überwiegend operativ tätig: Eigene Initiative und Projekte stehen für die Stiftung im Vordergrund.

Weitere Informationen: www.energiewende-nordhessen.com

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