JÉRÔME FEUILLETON Im Interview: Rein Wolfs, bis Ende Februar Leiter der Kunsthalle Fridericianum Von Björn Schönewald Jérôme: Sie waren viereinhalb Jahre in Kassel aktiv. Wolfs: Das wird es hoffentlich auch nie geben. Künstler, die noch jung sind – und beide oft auch Was war für Sie in dieser Zeit besonders prägend? Damit hat Büchel natürlich auch eine Zukunfts- nebeneinander programmieren. vision abgebildet, die mal eintreten könnte. Wenn Rein Wolfs: Ich habe Kassel als eine sehr angeneh- man sich dafür entscheiden würde, die Kultur Jérôme: Haben Sie konzeptionelle Ansätze, die Sie me Stadt kennengelernt. Sehr angenehm zum Le- nicht mehr zu fördern und das Haus nicht mehr nach Bonn mitnehmen werden? ben. Auch eine sehr offene Stadt. Ich finde, dass als Museumsgebäude zu pflegen, könnte man es die Stadt viel unprovinzieller ist als sie selber schon an ein Mäc-Geiz oder für eine Parteimesse Wolfs: Schon, aber eigentlich ist die Arbeit in meint. Man kennt sich hier auch einigermaßen vermieten oder eine Spielothek reinholen und so Bonn fast mehr vergleichbar mit der Arbeit, die aus mit der zeitgenössischen Kunst. Das ist natür- weiter und so fort. In diesem Sinne ist das bei Bü- ich früher gemacht habe, im Museum Boijmans lich documenta-bedingt und das hängt auch mit chel auch Dystopie. Was wird aus so einem Ge- van Beuningen in Rotterdam. Da habe ich auch der Anwesenheit einer Kunsthochschule zusam- bäude, wenn es kein Museum mehr ist? Ein Schre- Ausstellungen verantwortet, die in allen Berei- men. Kassel hat aber auch wirtschaftlich eine posi- ckensgespenst eigentlich. chen, in allen Epochen zuhause waren: Altmeister, tive Entwicklung durchgemacht. moderne Kunst, Design, Kunstgewerbe und so Jérôme: Ist so etwas in der Bundeskunsthalle in weiter. Das wird die Arbeit in Bonn wieder mehr Jérôme: Welche Momente werden Ihnen beson- dieser Form fortführbar? ausmachen. Diese Breite, diese Vielfalt. Hier in ders gut in Erinnerung bleiben? Kassel ist es viel pointierter gewesen, viel mehr auf Wolfs: In der Bundeskunsthalle bespielt man un- einen Fokus hin. In Bonn hat man die Aufgabe, Wolfs: Mein Fokus ist natürlich stark auf meine terschiedliche Hallen mit unterschiedlichen Aus- für mehr unterschiedliche Besuchergruppen zu Arbeit gerichtet. Da sind gewisse Ausstellungen, stellungen. Wir werden dort auch nicht nur zeit- arbeiten. Das bringt mit sich, dass man die Aus- die wir gemacht haben, die ich nie vergessen wer- genössische Kunst machen, sondern über alle stellungen anders angeht. de. Natürlich ist auch die documenta ein sehr prä- Epochen gehen. Das Fridericianum bringt ande- gendes Moment. Im vergangenen Jahr war ich res in einem als Kurator hervor, als die Bundes- Jérôme: Wie sehen Sie den Stellenwert der Kultur hautnah dabei und das ist schon sehr interessant. kunsthalle oder irgendein anderes Museum das in Kassel? So eine Ausstellung auch nicht nur einmal zu se- macht. Und ich fand es hier interessant, in dem hen, sondern neun- oder zehnmal. Prägend waren Sinne auch einen Kontrast zur documenta zu bil- Wolfs: Der Stellenwert ist groß und war schon für mich auch Bekanntschaften mit den Leuten den. Die documenta ist die wohl größte Gruppen- groß, als ich hierher kam. Ich habe das Gefühl, er hier in Kassel. Für mich als Fußballliebhaber gibt ausstellung. Mir war es wichtig, ein Gegenstück ist tendenziell noch gewachsen. Die Stadt ist sich die Stadt leider etwas weniger her. Ich bin jetzt zu bilden und in die Tiefe des einzelnen Künstlers mehr und mehr bewusst geworden und am Wer- nicht ein riesen KSV-Fan geworden, weil ich dann zu gehen. den, davon, dass sie kulturell als eine der wichti- doch auf andere Dinge schaue – auf Feyenoord gen deutschen Städte wahrgenommen werden Rotterdam oder Schalke 04. Aber Kassel hat die Jérôme: Das war der Anspruch, den Sie an Ihr kann. Vor allem im bildenden Kunstbereich, dann Huskies! Und im Bergpark zu spazieren und in der Wirken in Kassel gestellt haben? aber nicht nur in der zeitgenössischen Kunst, son- Aue, das ist auch etwas Besonderes. dern auch im Altmeisterbereich. Die Stadt hat Wolfs: Ja, am Anfang war das mein Konzept. Vor Kultur als Standortfaktor entdeckt. Es hat sich Jérôme: Und wenn wir auf die Ausstellungen zu allem auch Einzelpositionen zu setzen, wo die auch etwas getan im Bereich Werner-Hilpert-Stra- sprechen kommen? Christoph Büchel zum Bei- Künstler immer wieder große Projekte umsetzen ße. Man hat anerkannt, dass die Kreativwirtschaft spiel. konnten, die sich durch das gesamte Haus hin- auch ein Teil der Kasseler Strukturen ist. Und das durchgezogen haben. Bei Thomas Zipp zum Bei- sind für mich positive Zeichen. Wolfs: Das ist schon eine sehr wichtige Ausstel- spiel mit seiner Psychiatrie oder auch mit Teresa lung gewesen für mich. Mit ihr konnten wir einen Margolles, wo es um die Toten in Nordmexiko Jérôme: Ganz am Anfang Ihrer Zeit in Kassel ha- Akzent setzen. Das war groß und intensiv, fast ging. Auch mit Danh Vo und der Freiheitsstatue. ben wir auch ein Interview geführt. Da haben Sie zum Obsessiven hingehend – die Arbeit mit den gesagt, sie brauchen immer wieder Zäsuren im Le- Künstlern, um diese Ausstellung zustande zu brin- Jérôme: Welche Ausstellung hat Sie persönlich am ben. Wenn Sie zu lange das gleiche machen, wird gen. Sie hatte auch provozierende, umstrittene meisten fasziniert? es irgendwann langweilig. War dieser Zeitpunkt Elemente. Sie hat für mich das gesamte Haus wirk- wieder gekommen? lich anders gezeigt als es ist und auch für Kasseler Wolfs: Diese vier Ausstellungen waren wahr- fast zum Verschwinden gebracht hat. Man hat la- scheinlich am faszinierendsten für mich. Chris- Wolfs: Wäre er an sich noch nicht. Ich war nicht auf byrinthische Durchgänge entwickelt, wo die Men- toph Büchel, Thomas Zipp, Teresa Margolles und der Suche nach etwas, weil ich mich wirklich noch schen dann zum Teil gar nicht mehr wussten, wo Danh Vo. Aber auch Pawel Althamer, der mit 300 wohlgefühlt habe in Kassel. Aber man kann das Le- im Fridericianum sie gerade sind. Das war eine Kasseler Kindern hier gearbeitet hat, war wichtig. ben nicht planen. Eigentlich wäre ich hier fast noch große Leistung des Künstlers und da bin ich froh, Auch ein paar Künstler, die ganz jung waren und vier Jahre geblieben, dann wäre ich insgesamt neun dass ich dabei war, um das mit ihm zu tun. die wir hier ganz früh in ihre Entwicklung ge- Jahre hier gewesen, hätte aber zwischendrin einein- bracht haben: Klara Lidén, Cyprien Gaillard, Na- halb bis zwei Jahre fast kein Programm gemacht. Ich Jérôme: Als ältestes feststehendes Museum auf vid Nuur und noch ein paar. Die haben wirklich ei- habe das wirklich als zwei Phasen gesehen. Und da- dem europäischen Festland … nen guten Sprung gemacht von hier aus. rauf habe ich mich auch gefreut. Ich denke, dass nach der zweiten Phase dann auch die Langeweile Wolfs: Ältestes öffentliches Museumsgebäude auf Jérôme: Junge Künstler mit einzubeziehen, war gekommen wäre und dass ich dann wieder etwas dem europäischen Festland. Ihnen immer ein Anliegen? anderes hätte machen müssen. Zum jetzigen Zeit- punkt hätte ich gern hier weitergearbeitet und habe Jérôme: … beherbergte es vorher bestimmt noch Wolfs: Ich wollte Künstler, die schon auf einer be- auch viele Ideen. Aber irgendwie hat es mich zu nie eine Mäc-Geiz-Filiale. stimmten Stufe in ihrer Laufbahn sind, aber auch sehr verführt, diese neue Aufgabe anzugehen. www.jerome-kassel.de 35
Jerome Nr. 28
To see the actual publication please follow the link above