26 www.jerome-kassel.de JÉRÔME FEUILLETON Wie sieht es bei jemandem aus, der Menschen über die Klinge springen lässt? Bei einem, der Intrigen spinnt, für Konflikte zwischen Ex-Knackis und der Russenmafia sorgt und auch den Staat nicht ungeschoren davonkommen lässt? Normal. Also fast. Die Möbel sind etwas älter. „Das war hier alles schon drin, das war ganz praktisch“, sagt mein Gegenüber. Auf dem Schreibtisch zum Fenster steht ein Computer. Ein kleiner, leicht staubiger Klotz mit einer unglaublich abgegriffenen Tastatur. Die sei mal wieder fällig, lässt er mich durch den Qualm seiner Zigarette wissen. „Alle drei Jahre verschwinden die Buchstaben von den Tasten.“ Hier entstehen sie, die Krimis von Volker Schnell. Erotik für reifere Damen Während er Tee holt, Kaffee mag er nicht, „ganz normalen schwarzen Tee“ in seiner obligatorischen Thermoskanne, die er überall hin mitschleppt, schweift mein Blick durchs Zimmer. Bücher. Etliche Bücher. Viele Krimis und Thriller in englischer Sprache. Darunter Donald E. Westlake. „Der ist zu gut für den deutschen Markt“, wird er mir später erzählen. Und Michael Connelly. „Von dem habe ich gelernt, wie man einen Plot richtig aufbaut.“ Und nein, die Amerikaner seien kein degeneriertes Idiotenvolk. Das Englisch-Lesen macht Volker Schnell gar nichts, denn davon lebt er, wenn er nicht gerade als freier Journalist und Autor unterwegs ist, unter anderem für Jérôme. Er übersetzt Romane aus dem Englischen. Nicht selten handelt es sich dabei um erotische Literatur für reifere Damen. Na gut. Den emsigen Affen gespielt Schon in der Grundschule in der Kasseler Nordstadt, Struthbachweg, hat der spätere Schulversager und Ausbildungsabbrecher zu schreiben angefangen. Tiergeschichten waren das damals. „Seit ich schreiben kann, ist der Drang da“, sagt Volker Schnell. „Dann habe ich jahrelang den emsigen Affen gespielt“, zitiert er Robert Louis Stevenson, „das heißt, alles nachgemacht, was ich selber gut fand.“ Anfangs Piratengeschichten und Western, später Agentenkrimis. „Das ist natürlich alles völlig naiv gewesen, was man als 14-, 15-jähriger Bengel so schreibt.“ Es folgten von Hemingway beeinflusste Kurzgeschichten und sein persönlicher Absturz. „Sie können mich alle mal am Arsch lecken“ „Ich bin mit 16 vom Gymnasium geflogen“, sagt er. „Weil?“, frage ich. „Albert-Schweitzer-Schule“, lautet seine Antwort. Das sei einfach die falsche Schule für ihn gewesen. „Mit 15 habe ich angefangen, auf das, was ich als täglichen Terror betrachtet habe, mit Gegenterror zu reagieren. Ich war der Drop-Out in der letzten Reihe, der die Füße auf dem Tisch hatte und den Lehrer mit Arschloch ansprach, wenn der es wagte, mich anzureden.“ Er sei erst hängengeblieben und dann geflogen. Auf einer Gesamtschule habe er die mittlere Reife gemacht, „das war ganz easy“, und im Anschluss eine Lehre als Großhandelskaufmann angefangen. „Wenn ich das geworden wäre, hätte ich mich inzwischen längst aus Frust zu Tode gesoffen.“ Klingt, als wäre er sich sicher. „Ich bin da an meinem 18. Geburtstag reinmarschiert, habe denen erzählt, sie können mich alle mal am Arsch lecken und bin gegangen.“ Zwei Jahre lang habe er dann als Freak praktisch auf der Straße gesessen. Weder schwul noch bi noch umzupolen „Ohne den Klaus wäre ich wahrscheinlich abgestürzt in diesen zwei Jahren“, sagt Volker Schnell und meint Klaus Becker, den ehemaligen Chefredakteur des Extra Tips und späteren Jérôme-Autor, der damals noch Chefredakteur der Neuen Hessischen Zeitung war, einem SPD-Blatt. „Kennengelernt habe ich ihn auf einer Filmpremiere. Da war ich 16 und er hat mich angemacht. Leider musste Klaus feststellen, dass ich weder schwul noch bi noch umzupolen war und hat daher seinen pädagogischen Eros an mir ausgelebt. Das kommt übrigens in dem Buch vor.“ Ein einjähriges Praktikum bei der Neuen Hessischen Zeitung habe ihm Becker ermöglicht. „Das war das erste Mal, dass ich gedruckt wurde.“ Trauzeuge von Helmut Kohl Der Draht zu den Eltern? „So zwischen 15 und 21 war praktisch keine Kommunikation möglich. Außer, wann es was zu Essen gibt und solche Sachen.“ Nach der Bundeswehrzeit, 1983, habe er sie überredet, auf eine private Werbefachschule nach Dortmund gehen zu können. „Meine Eltern haben dann noch mal richtig Geld ausgegeben, damit aus dem verkommenen Sohn doch noch was wird.“ Diese Ausbildung habe er beendet, „auch ganz gut“, und im Anschluss mit zwei Schulkameraden eine Werbeagentur gegründet, in der er Texter war. Doch schon nach einem Jahr folgte der Ausstieg. „Ich hatte das Angebot, Chefredakteur des Magazins idee ruhr zu werden. Herausgeber war ein gewisser Stephan Holthoff-Pförtner, Trauzeuge von Helmut Kohl“, sagt Schnell. 25 Jahre verbrachte Schnell im Ruhrgebiet und an der Ostsee, zunächst bei der idee ruhr, später als Chefredakteur des Kulturmagazins Foyer. In dieser Zeit, mit 30, hat er seinen ersten Roman veröffentlicht: „Der Tod des Aufsichtsrats“. Im Gegensatz zu „Mordhessen“, den der Emons Verlag als Bestseller handelt, ist sein Erstlingswerk allerdings nie im Taschenbuchformat erschienen. „Mit ’nem Krimi bist Du tot, wenn Du nicht als Taschenbuch zu kriegen bist“, erklärt er. Passt nicht richtig in die Schublade „Mordhessen“, seinen ersten Krimi mit Kassel-Bezug, hatte Volker Schnell schon in Eutin an der Ostsee geschrieben, bevor es ihn 2008 wieder in seine nordhessische Heimat zog. 2011 wurde das Buch veröffentlicht und hat inzwischen das Fünf- bis Sechsfache der prognostizierten Verkaufszahlen erreicht. Längst ist die Geschichte weit häufiger über den Tresen gegangen als Schnells bundesweit vertriebener Erstling. Schnells neuer Roman, „Der schlaue Pate“, der am 25. April im Museum für Sepulkralkultur Premiere feierte, ist die Fortsetzung Der schlaue Pate und spielt ebenfalls in Nordhessen. In die Regionalkrimi-Schublade will er aber nicht so richtig passen. Schon allein, weil Schnell den beliebtesten Fehler der Regional-Autoren vermeidet: Möglichst viele Orte zu beschreiben, die der Leser kennt und die Geschichte drumherum zu spinnen. Den Schauplatz habe er aber nicht zufällig gewählt. „Welthistorisch ist bewiesen: Es gibt keine größeren Lokalpatrioten als Exil-Kasselaner“, begründet der Autor. „In Dortmund oder Essen wäre die Zielgruppe dreimal so groß gewesen, aber da habe ich bloß gewohnt.“ Jeder Krimi ist ein Regionalkrimi Das mit den Regionalkrimis sei immer ein zweischneidiges Schwert. „Einerseits ist es prima, wenn man Publikationsmöglichkeiten kriegt, die man sonst nicht hätte, andererseits ist das ganze Marketing auch nur regional ausgerichtet. Und natürlich findet jeder Autor, er sollte in der Bundesliga spielen und nicht in der Regionalliga.“ Im Von Björn Schönewald emons: V O L K E R S C H N E L L K R I M I N A L R O M A N Foto: Mario Zgoll
Jerome Nr. 29
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