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JÉRÔME WIRTSCHAFT Schweres leichtes Kommunizieren Bis das ins Bewusstsein der Nordhessen vorgedrungen sei, habe gedauert. „Die Verzagtheit ist dem Nordhessen ja auch nicht ganz uneigen“, sagt Dr. Lohmeier. Als er vor 18 Jahren nach Kassel kam, sei das der größte Schock für ihn gewesen. „Ich war lange in NRW, in Bochum, in Köln, das ist ein ganz eigener Menschenschlag. Dann 16 Jahre in Würzburg, wo man, ruhig, barock und katholisch geprägt, sehr stolz auf sich ist. Wenn Sie dann in eine Region kommen, die mit allen Schönheiten, hugenottischer Vergangenheit, einer strengen Arbeitsethik und damit einhergehender Stärke sich mit dem leichten Kommunizieren so schwertut, ist das nicht einfach. Aber das ändert sich zum Glück.“ Von der Zweiten in die Erste Liga Die Region ist erfolgreich und beginnt es zu verinnerlichen. Im Ranking der 80 Industrie- und Handelskammern in Deutschland, das sich an der Gewerbekraft orientiert, lag der Kammerbezirk Kassel-Marburg vor 20 Jahren auf Rang 25, 26 oder 27. „Jetzt liegen wir auf 13, 14, 15“, sagt Dr. Lohmeier. Auf die Bundesliga übertragen bedeute das von der Zweiten in die Erste Liga. Immer noch gebe es eine Zaghaftigkeit, ein „Kann es denn wahr sein?“ – aber die gehe zurück. Zerknirscht oder besser als New York? Das Problem der Kasseler sei, dass der unmittelbare Vergleich fehle. Frankfurt ziehe man gerne heran, die seien jedoch europaweit an der Spitze. Ludwig Georg Braun habe das mal auf den Punkt gebracht: „Die Kasseler schwanken zwischen tiefster Zerknirschtheit und dem Blick darauf, wo sie denn wirklich besser sind als New York oder London.“ Was man sich vor Augen halten müsse: „Direkt vor uns in der Rangziffer steht der Raum Mannheim, direkt hinter uns Karlsruhe. Da hat man eine ganz andere Assoziation, oder?“ Die stellvertretenden Bernecker-Verlagsleiter Karin Küpper und Björn Schönewald im Gespräch mit Dr. Walter Lohmeier (Mitte) Man darf kein No-Name sein Die Zukunft des Standorts sieht Dr. Lohmeier positiv: „Die gute wirtschaftliche Situation hat sich als stabil erwiesen, und im Moment gibt es kein Indiz dafür, dass es enger werden sollte. Der Fachkräftebedarf wird zunehmen, deshalb sind Bildung und Zuzug wichtig.“ Da sieht er Kassel inzwischen gut aufgestellt. „Wenn man tolle Leute haben will, darf man kein No-Name sein“, erklärt der IHK-Chef. Das sei früher das Problem gewesen. „Kassel hatte kein schlechtes Image, es hatte gar keins. Es existierte nicht.“ Zunehmend attraktiv Noch habe man zwar kein Schalke, da hoffe er noch auf den KSV, aber man habe sich in Position gebracht. „Besonders deutlich spüre ich das, wenn ich in Berlin bin“, sagt Dr. Lohmeier. Kassel und Nordhessen würden heute deutlich stärker wahrgenommen. Für die Menschen wird das nordhessische Oberzentrum zunehmend attraktiv und Unternehmen aus der Fahrzeugindustrie, der Energietechnik und -effizienz oder der Luftfahrt fühlen sich hier wohl. Wirtschaft und Gefühl Woran das liegt? An den guten Rahmenbedingungen, den Netzwerken und den Entfaltungsmöglichkeiten, den man hier habe und am Gefühl. Lohmeier: „Berlin hat eine zehnmal schlechtere Arbeitsmarktbilanz als Kassel, aber die Leute wollen einfach dahin – wegen des Gefühls. Nach Stuttgart wollen nach meiner Erfahrung eher wenige, obwohl da sehr viel Wirtschaft ist.“ Und nach Kassel? „Nach Kassel geht man überwiegend noch wegen der Wirtschaft, aber das Gefühl wächst.“ www.jerome-kassel.de 45


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