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Akten, Berge und mehr 60 Jahre Bertram Hilgen: Kassels Oberbürgermeister im Interview Von Björn Schönewald Den Knackpunkt und die Schwächen in einer Vorlage findet Bertram Hilgen zielgenau. Seine Mitarbeiter im Rathaus haben das schnell festgestellt und erscheinen immer gut vorbereitet zu Rücksprachen. Seine Fähigkeit, sich anhand von Akten prompt zu orientieren, ist vielen ein Phänomen. Und er verschlingt sie regelrecht. Hilgen ist ein Mann mit Prinzipien und Selbstdisziplin, gleichwohl ein „großer Kaffeetrinker“ und „Schnuckezahn“. Schon zu Studienzeiten – Bertram Hilgen studierte Jura und Politikwissenschaft in Marburg – war er Vorsitzender der Jungsozialisten in Nordhessen. 1980 trat er als persönlicher Referent ins Umfeld des damaligen Kasseler Oberbürgermeisters Hans Eichel. Ab 1986 leitete er das Rechtsamt der Stadt, bevor er 1991 mit Eichel nach dessen Wahl zum Ministerpräsidenten nach Wiesbaden ging. 1996 wechselte Hilgen, 42-jährig, in „seinen Traumjob“ als Regierungspräsident nach Kassel. Nach dem Regierungswechsel 1999 wurde er zum Geschäftsführer des Kommunalen Gebietsrechenzentrums (KGRZ) berufen. Oberbürgermeister von Kassel wurde er 2005 mit 53,4 Prozent der Wählerstimmen. Wer ist der Mensch Bertram Hilgen? Anlässlich seines 60. Geburtstags am 9. Februar sprach Jérôme mit ihm. Jérôme: Aufgewachsen sind Sie in Tann in der Rhön. Bertram Hilgen: Ein kleines Städtchen, früher umgeben von der Grenze zur DDR, die auch meine Familie geteilt hat. Meine Mutter kommt aus einem Dorf, das nur vier Kilometer von Tann entfernt ist, aber in Thüringen liegt. Meine Verwandten mütterlicherseits haben alle in dem Ort gewohnt. Wenn wir meine Großmutter besuchen wollten, mussten wir über Mellrichstadt in Bayern reisen, das war der nächste Grenzübergang. Treffen konnten wir uns zum Beispiel in Meiningen. In den engeren Grenzbereich auf Seiten der DDR durfte man als Westler nur zu ganz besonderen Anlässen. Jérôme: Was war eine solche Begebenheit? Hilgen: Als mein Großvater starb, der wohnte da, durften nur zwei von unserer Familie rüber zur Beerdigung: Meine Mutter und mein älterer Bruder. Mein Vater und ich standen im Nachbarort im Westen auf einer Anhöhe und haben mit dem Fernglas zugesehen, wie der Großvater beerdigt worden ist. 18 www.jerome-kassel.de Jérôme: Wie ist Ihre Verbindung zu Kassel entstanden? Hilgen: Ich habe in Marburg studiert und war später Rechtsreferendar am Landgericht in Fulda. Als Bezirksvorsitzender der Jungsozialisten habe ich Hans Eichel kennengelernt. Er war damals Kasseler Oberbürgermeister und hatte ein Herz für die Jusos. Er war ja selber auch mal einer. 1980 suchte er einen Nachfolger für seinen persönlichen Referenten. Als er mich fragte, ob ich das werden wolle, habe ich gesagt: Ja, aber ich habe mein zweites Staatsexamen noch nicht. Wir trafen eine Übereinkunft: Wenn ich das zweite Staatsexamen mit einem Prädikat abschließe, gibt es eine Einstellungszusage. Vier Wochen nach meiner zweiten Staatsprüfung habe ich dann als Magistratsrat z.A. im Kasseler Rathaus angefangen. Jérôme: Sie haben Rechts- und Politikwissenschaften studiert. Wollten Sie von Anfang an in die Politik? Hilgen: Politisch war ich immer aktiv, habe mir aber auch gesagt, dass ich einen ordentlichen Beruf lernen und darin richtig gut sein muss. Ich wollte nie alleine davon abhängig sein, dass andere mich wählen. Bei mir kam der Beruf immer vor der Politik. Dass ich mal Kasseler Oberbürgermeister werde, war kein lang angestrebtes, systematisch verfolgtes Karriereziel. Jérôme: Wie kam es zu Ihrer Kandidatur? Hilgen: Es gibt Situationen, in denen es heißt: Wer macht’s, wer tritt an? Jérôme: „Die Lage ist schwierig, die Chancen sind gering, aber ich mach’s“, haben Sie damals gesagt. Hilgen: 2005 war es mein Ehrgeiz, das denkbar beste Wahlergebnis in der Oberbürgermeisterwahl zu erzielen. Anderthalb Jahre habe ich Wahlkampf gemacht, Klinken geputzt, Hausbesuche abgestattet, Foren organisiert. Nach dem ersten Wahlgang hatte ich 43 Prozent und der damalige Amtsinhaber Georg Lewandowski 46. Ein überraschend kleiner Abstand. Da habe ich mir gedacht, es gibt eigentlich nur zwei Varianten: Entweder die CDU mobilisiert noch mal ihre Wähler oder die Wähler der Grünen entscheiden. Deren Kandidatin, Helga Weber, hatte elf Prozent. Diesen Prozentanteil habe ich im zweiten Wahlgang bis auf die Stelle nach dem Komma hinzugewonnen – und wurde Oberbürgermeister. Jérôme: 2011 wurden Sie für eine zweite Amtszeit gewählt. Treten Sie auch 2017 wieder an? Hilgen: Die Landesregierung hat beschlossen, dass man bis 80 Oberbürgermeister sein kann. Wenn die Gesundheit hält – und mein Arzt sagt nichts Gegenteiliges – , es mir noch Spaß macht und ich den Eindruck habe, dass die Kasseler mich auch im Jahr 2017 noch mal wollen, dann kann ich mir gut vorstellen, mit 63 wieder anzutreten. Aber das hat ja noch Zeit. Jérôme: Ihr Beruf ist sehr zeitintensiv und bietet wenig Rückzugsmöglichkeiten. Fällt Ihnen das manchmal schwer? Hilgen: Es gibt in jedem Beruf Tage, an denen man lieber im Bett bleiben würde. Solange die Mischung stimmt, und die stimmt noch richtig gut, möchte ich weitermachen. Fordernd ist vor allem, dass über den Tag viele Termine nacheinander anstehen, die inhaltlich keinerlei Berührungspunkte haben. Sie müssen aber bei jedem im Thema sein, denn es gibt wenige Termine, bei denen der Oberbürgermeister nur dasitzt und zuhört. Bei den meisten habe ich eine aktive Rolle und muss wissen, worum es geht. Da braucht man schon ein hohes Maß an Flexibilität. Jérôme: Und wenn Sie sich mit einer Sache mal länger beschäftigen müssen? Hilgen: Das geht selten im Rathaus. Wenn ich zum Beispiel einen längeren Text zu lesen habe, nehme ich mir diesen übers Wochenende mit. Wobei das Wochenende eines Oberbürgermeisters ja auch nicht die freie Zeit ist. Mein Ziel ist es, in einer Woche einen halben freien Tag zu haben. Und die Woche dauert von Montag bis Sonntag. Jérôme: Wie funktioniert das auf Dauer? Hilgen: Ich achte auf meine Gesundheit und meine Kondition. Sport ist mir wichtig, und dass mein Gewicht in einem ordentlichen Rahmen bleibt. Ich jogge gerne und mache ein bisschen Kraftsport. Und in den Ferien gehen meine Liebste und ich sehr gerne in die Berge. Das werden wir besonders intensiv im April machen. Da sind wir einen Montag lang weg. JÉRÔME STADT


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