Immer in Bewegung Das AktionsTheaterKassel sucht kreative Abenteuer 28 www.jerome-kassel.de JÉRÔME FEUILLETON Wir sind flexibel, und wir schonen uns nicht“, sagt Werner Zülch über das AktionsTheaterKassel. Einmal baute die Gruppe um die Theatermacher Helga und Werner Zülch bei einer Hessen-Tournee ein riesiges Baustellenzelt auf – nichts für Menschen mit Höhenangst. Und während der documenta 2012 war sie mit einem Piaggio-Transporter unterwegs. Werner Zülch täuschte eine Panne vor, mitten im stärksten Verkehr, worauf Schauspielerinnen, die am Straßenrand zur Stelle standen, den Wagen anschoben. Die Damen entledigten sich dann ihrer Regenmäntel, unter denen sie Dessous trugen. Das Motto hätte nicht besser eingelöst werden können, denn es hieß: „Irritazioni momentanee – Attenzione!“ Bereits diese Beispiele zeigen, dass Helga und Werner Zülch unter Theater viel mehr verstehen als den bloßen Dialog auf der Bühne. Performances, Text-Collagen und Experimente kommen hinzu bei ihren Arbeiten. In unterschiedlichen Gewichtungen prägen Poesie, Absurdität, Melancholie und Komik die Stücke des Aktionstheaters. Doch bei aller Vielfalt bewegen sie sich immer an der Schnittstelle zwischen darstellender und bildender Kunst. Eine weitere Besonderheit der freien Theatergruppe: Das Aktionstheater hat keinen festen Raum, es sucht sich vielmehr die passende Umgebung für jede Produktion. So hat es unter anderem schon im Waschsalon gespielt, im Ballsaal, in der Fußgängerzone, im Autohaus, im Klassenzimmer – oder neulich auf dem Campingplatz in Trendelburg. Gastspiele in Trendelburg und Vorarlberg Dieser Ort passte ausgezeichnet zu dem Stück „Gras“ der niederländischen Autorin Esther Gerritsen, ging es doch um eine Familie auf Campingurlaub. Unter Helga Zülchs Regie spielten Kate Fierley, Leoni Selina Bäcker, Michael Werner und René Spitzer eine teils komische, teils beklemmende Groteske um eine dominante Mutter, eine selbstbewusste Tochter, einen kleinlauten Vater und einen verstörten Sohn. Mit „Gras“ gastierte das Aktionstheater im Juli zudem bei „Luaga & Losna“ im österreichischen Vorarlberg, einem Festival, bei dem auch Autoren aus den deutschsprachigen Ländern ihre neuen Texte vorstellten. Ein anderes Stück des Aktionstheaters lief gerade erfolgreich im Kasseler Kulturhaus Dock 4: „Lola rast“ nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Wilfried von Bredow und Anke Kuhl, eine zeitgenössische „Struwwelpeter“-Variante mit „schrecklichen“ Geschichten, ein Kindertheater, das auf turbulente wie schaurig-schöne Weise auch andere Altersgruppen unterhielt. Da radelte Tina Machulik als Lola mit Höllentempo ihrem Ende entgegen – getreu der lapidaren Moral „Ja nun, die Ampel stand auf Rot. Wer weiter rast, ist eben tot.“ Da wurde die junge Schauspielerin als fernsehsüchtiger Lukas von der Glotze verschluckt. Wie in „Gras“ spielten Kate Fierley und Michael Werner die Eltern, während Machulik ihren fulminanten Einstand beim Aktionstheater gab. Helga Zülch führte Regie, Werner Zülch baute das Bühnenbild, eine Riesenpuppenstube. Von Georg Pepl Foto: Mario Zgoll Wenn eine Familie Urlaub macht: das Stück „Gras“ der niederländischen Autorin Esther Gerritsen Foto: Aktionstheater Kassel Foto: Mario Zgoll Spielen eine groteske Familie: Michael Werner, René Spitzer, Kate Fierley und Leoni Selina Bäcker (v.l.)
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