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Arnold-Bode-Preis 2016 Der Arnold-Bode-Preis der Stadt Kassel wurde zum 25. Mal verliehen, diesmal an den in Berlin lebenden kurdischen Künstler Hiwa K, der an der letzten Biennale in Venedig teilnahm und bei der nächsten documenta vertreten sein wird. 18 www.jerome-kassel.de JÉRÔME STADT Von Volker Schnell Der Extellektuelle: So bezeichnet Hiwa K sich selbst, weil er keine formale Ausbildung hat, an der Mainzer Kunstakademie „mit der Mappe eines Kumpels“ aufgenommen wurde, ohne Interesse am Curriculum studierte, sondern sein Wissen auf den Straßen, in den Cafés, durch Konversationen und den Austausch von Büchern erwarb. Auf so einen ist man neugierig, wenn man selber vom Gymnasium geflogen ist. Außerdem ist, zumindest durch kursorische Googelei, nicht herauszubekommen, wie Hiwa K in Wirklichkeit heißt. Er verrät den Namen nicht (und auch nicht, ob Hiwa K irgendetwas bedeutet). Er hat übrigens noch keinen Wikipedia Eintrag, vielleicht sollte das mal jemand erledigen. Geladen hat der Künstler zunächst zu einer „Performance“ mit dem Titel „The Bartender Is Not Dead – Yet“ ins Kulturhaus Dock 4. Es ist so voll, dass viele Leute stehen müssen – Ihr Autor hat sich rasch einen Stuhl gesichert. Die Performance entpuppt sich als ein einzelner Song, vorgetragen vom Künstler als Leadsänger und -gitarrist, begleitet von einer weiteren Gitarre, Bass, Drums, Klavier und drei Ladies. Der schmächtige Bursche da am Klavier – tatsächlich, Adam Szymczyk höchstselbst, Leiter der documenta 14. Cool sitzt er da und kaut Kaugummi, die Zigarette im Mundwinkel muss man sich in diesen Zeiten dazudenken. Allerdings hat er nur einen einzigen Ton immer wieder anzuschlagen. Die Ladies sind auch nur dazu da, disharmonisch zu kreischen. Was den Song angeht – äh, ja. Sicher kennen Sie das, ein englischer Song läuft im Radio, Sie hören nicht richtig zu, aber einzelne Schlagwörter dringen an Ihr Ohr, in der Regel sowas wie „love“ und „you“. Hiwa K, man kann es nicht anders sagen, nuschelt lautstark, ich verstehe nicht, worum es geht, außer um einen gewissen „Stagger Lee“ (irgendwo schon mal gehört), aber einzelne Schlagwörter dringen an mein Ohr, hauptsächlich „motherfucker“. Also eine eher zornige Angelegenheit. Dann übersiedeln wir alle zum Kunstverein ins Fridericianum. Zunächst verrät der Kuratoriumsvorsitzende der Arnold-Bode-Stiftung, Prof. Heiner Georgsdorf, worum es sich bei dem Song gehandelt hat: „Stagger Lee“ von Nick Cave. Googeln Sie das mal, der Text ist problemlos zu finden. Erbaulich, wirklich erbaulich. Dann beichtet Adam Szymczyk, überhaupt kein Instrument spielen zu können (Oh, dafür hat er seinen Einsatz aber perfekt getroffen.). In seiner Laudatio schildert er als Beispiel für Hiwa Ks „sozialrealistische“ Kunst den Biennale-Beitrag: Aus Kriegsschrott aus dem Irak ließ er eine Glocke gießen, die er mit zerstörten babylonischen Reliefs verzierte, womit er den „ohrenbetäubenden Lärm aller Kriege transformierte“. Ich weiß nicht, ob Szymczyk und Hiwa K das bewusst ist, aber Kassels nicht mehr existente Traditionsfirma Henschel war ursprünglich eine Glockengießerei; dann ließ Napoleon die Glocken zu Kanonen umgießen. Hiwa K. kehrt den Vorgang um. Sein Glocken-Kunstwerk nannte er sinnigerweise „For Whom The Bell Tolls“, englischer Originaltitel von Hemingways „Wem die Stunde schlägt“. Hier noch ein im Netz gefundenes Zitat von ihm: „Die Kunst muss sich ändern, wenn die Menschheit überleben soll.“ Was immer Sie von solchen Sprüchen halten, er jedenfalls macht´s vor. Auf seinen documenta-Beitrag dürfen wir gespannt sein. Foto: Uwe Zucchi Hintergrund zum Arnold-Bode-Preis Zum 75. Geburtstag bekam der „Vater der documenta“ von documenta Künstlern eine Sammlung von Kunstwerken geschenkt – die Kunstwerke bilden das Grundkapital der Arnold Bode-Stiftung. Sie wurde 1978 von der Stadt Kassel ins Leben gerufen. Die Stiftung fördert Kunst und Kultur und vergibt den Arnold Bode-Preis. Der mit 10.000 Euro dotierte Arnold-Bode- Preis wird seit 1980 alle zwei Jahre sowie in documenta-Jahren an Künstlerinnen und Künstler in Anerkennung ihrer herausragenden Leistungen für die Kunst der Gegenwart verliehen. Die Teilnahme des Preisträgers an einer documenta ist nicht Voraussetzung der Verleihung – das documenta-Niveau aber Maßstab der Entscheidung.


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