Pörschmann: Die Vielfältigkeit und die Kooperationen in alle gesellschaftlichen Bereiche waren und sind toll. Das wird so bleiben, sofern man es nicht noch ausbauen kann. Vor zwei Wochen war zum Beispiel der Verein Kasseler Hospital hier, der Hospiz- und Palliativarbeit leistet. Das war schon etwas Besonderes mit 80 Ehrenamtlichen zusammenzusitzen, die Sterbebegleitung machen. Im Gegensatz zur Kunst hat man da natürlich ganz direkt und stark den Eindruck, dass man in die Gesellschaft wirkt, indem man solche Dinge unterstützt. Jérôme: Nehmen Menschen aus der Sterbehilfe ihr Angebot anders auf? Pörschmann: Wie konkret sie hier Gast sind, kann ich Ihnen nicht so genau sagen. Dazu haben wir keine Besucherbefragung, die nach den Berufen schaut. Aber es hat mich fasziniert, dass da Menschen sitzen, die das Momento mori und die Erinnerung an die Vergänglichkeit ständig vor Augen haben. Man könnte sagen, sie brauchen in so ein Museum eigentlich gar nicht zu gehen. Aber sie sind dem Museum gegenüber sehr aufgeschlossen und gleichzeitig sehr freundlich-zurückhaltend. Ich finde es spannend, dass man die Möglichkeit hat, nicht nur Kunst und Kultur, sondern auch den Bereich des Sozialen und des in die Gesellschaft Hineinwirkenden zu bedienen. Das hat mir in der reinen Kunst am Ende auch gefehlt. Jérôme: Vorne im Museum liegt das Gästebuch aus und ganz oben ist ein Eintrag „like mich snapchat“. Zgoll Mario Das spricht ja für einen jüngeren Besucher. Foto:Wie wichtig ist es, alle Altergruppen zu bedienen? www.jerome-kassel.de 31 Pörschmann: Das ist extrem wichtig und auch in der Vergangenheit so passiert. Man kann zum Beispiel Kindergeburtstage hier veranstalten. Für viele ist das erst mal befremdlich, aber ich glaube, da unterschätzt man Kinder in ihrer Wahrnehmung. Ich bin noch großgeworden in einer Zeit, wo man die Kinder vom Tod fernhielt. Als meine Großmutter gestorben war, die mir sehr viel bedeutete, wollte man nicht, dass ich sie noch mal sehe. Das bedauere ich bis heute. Jede menschliche Kultur hat sehr früh Rituale entwickelt, um mit diesem Verlustschmerz umgehen zu können. Dazu gehört auch das Sehen und das Wahrnehmen der Toten. Ich glaube, dass Kinder da keine Ausnahme sein sollten. Jérôme: Worauf freuen Sie sich in Ihrer neuen Funktion besonders? Pörschmann: Ich freue mich darauf, diesen Ort neu zu gestalten. Dieses Haus wurde 1992 eröffnet, es gibt zum Teil erheblichen Sanierungsbedarf, im Sommer auch klimatische Probleme und die Dauerausstellung muss aktualisiert werden. Aktualisierung heißt auch wirklich noch mal zu überlegen, was die Kernthemen sind und in welchem Bereich man diese hier behandeln sollte. Das wird uns die nächsten Jahre beschäftigen und da fange ich gerade an zu träumen und diese Träume aufzuschreiben, um einen handfesten Antrag an unsere Zuwendungsgeber daraus machen zu können. Jérôme: Welches große Thema möchten Sie gerne behandeln? Pörschmann: Das Thema Suizid finde ich höchstspannend und ich möchte es gerne in einer großen Ausstellung bearbeiten. Die Zahl der Suizid-Toten ist dreimal höher als die der Toten durch Autounfälle. Wenn man dann noch bedenkt, wie viele Menschen versuchen, sich umzubringen – man geht davon aus, dass diese Zahl mindestens zehn Mal höher liegt. Wie viele Menschen in unserer Gesellschaft also wirklich mit Suizid konfrontiert sind und wie wenig darüber gesprochen wird, das ist schon interessant. Nach wie vor ist das ein Tabuthema und wird im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen. Jérôme: Wann könnte diese Ausstellung zu sehen sein? Pörschmann: Die Planungen werden über die nächsten zwei bis drei Jahre laufen. Ich schätze, dass wir die Ausstellung 2020, 2021 zeigen können. Bis dahin möchte ich durch kleinere Interventionen Objekten, die bereits im Haus sind, in neue Perspektiven rücken. Wie unsere Leichenkutsche, die wir aus der Rotunde im Altbau auf die Mittelebene gehoben haben. Und natürlich gibt es immer wieder Sonderausstellungen wie die zum Thema gewaltsamer Tod mit Fotografien von Jens Umbach und Dieter Huber und einer Video-Installation von Herlinde Koelbl. Eröffnet wird sie am 25. Mai. Kommen Sie vorbei! EXKLUSIVES EINRICHTEN JÉRÔME FEUILLETON
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