Märchenhafter Sex – Der Künstler Albert Schindehütte

Über die 1968er-Ausgabe des bereits 1833 erschienenen Romans „Gamiani“ von Alfred de Musset, eine der berühmtesten erotischen Geschichten der Weltliteratur, findet sich im Katalog 173 des Schriesheimer Antiquariats Frank Albrecht folgender Vermerk: „In der perversen Titelheldin konnte man unschwer George Sand erkennen, die sich kurz zuvor von Musset getrennt hatte. Zu seinen pornographischen Illustrationen wollte Schindehütte wohl nicht stehen und ließ den Druckvermerk einschwärzen.“ Woher der Antiquar diese bedeutsame Erkenntnis nimmt, ist nicht weiter ausgeführt, doch es darf bezweifelt werden, dass der 1939 in Kassel geborene, in Breitenbach aufgewachsene und an der Kasseler Werkkunstschule u.a. von Karl Oskar Blase ausgebildete Grafiker, Zeichner, Maler, Illustrator und Kalligraph tatsächlich im Nachhinein Abstand von seinen besonders naturalistisch gehaltenen Arbeiten genommen hat. Denn diese machten zumindest in den wild bewegten 60er Jahren und auch noch geraume Zeit darüber hinaus einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Werkes aus, wie weitere Veröffentlichungen belegen, etwa die 1968 in Kooperation mit seiner damaligen Lebensgefährtin Katinka Niederstrasser entstandene Grafikmappe „Paarodien“ (sechs Blätter mit „literarischen Liebespaaren“, 480 Mark, Auflage 100) oder seine zwölf Zeichnungen für „Die lüsternen Schwestern. Band 2: Schwester Emilie“ von 1980. Zudem handelte sich der damals als „Ali“ firmierende Albert Schindehütte bereits im Jahr 1966 eine dreispaltige Meldung in der BILD-Zeitung ein, als er, wie der SPIEGEL später berichtete, „in der Hamburger Buchhandlung von der Höh protesthalber die Hosen herunterließ“, bei der Enthüllung der hautnah gehaltenen Zeichnung „Katz und Maus“.

Der Künstler Albert Schindehütte vor dem Atelier seines Hauses in Hamburg-Övelgönne. Foto: pressebild.de/Bertold Fabricius

Im Bannstrahl von Oswalt Kolle
Wenig später legte Schindehütte dann Hand an ein nacktes Mädchen, das zunächst mit Filzstiften zugetextet und alsdann fotografiert wurde, um sich schließlich – den „BRAVO“-Starschnitt konterkarierend – als lebensgroßes Faltblatt im Format 44 mal 174 Zentimeter wiederzufinden, im Rahmen der im Hamburger Verlag Merlin erschienenen Serie „Auf den Leib geschrieben“. Diese lockte in der Folge mit gleichartig frivolen Werken, betitelt u.a. als „Die höhere Tochter“ und „Die Braut des Schornsteinfegers“. Das 42-seitige Buch „Worte des Bett-Triebs-Vorsitzenden Oswalt K.“ (1968) von Rolf Palm – eine Zusammenstellung von wohl eher unfreiwillig komischen Äußerungen des als Sexualaufklärers bekannt gewordenen Oswalt Kolle – zu dem Ali Schindehütte unter Verwendung einer Handzeichnung von Albrecht Dürer 39 Vignetten beigesteuert hatte, wurde gar kurzfristig verboten. Mit seiner vorzugsweise sinnenfroh gesteuerten Motivwahl und einem damit korrespondierenden Lebensstil durchkurvte der nach seinem Studium zunächst in Berlin, dann in Hamburg ansässige Künstler – Mitinitiator der 1963 in Berlin gegründeten, mittlerweile als älteste Künstlergemeinschaft der Welt geltenden „Werkstatt Rixdorfer Drucke“, zu der unter anderem auch der Kasseler Grafiker und Zeichner Arno Waldschmidt gehört – behände alle Variationen des fröhlichen, gelegentlich kargen Bohémien-Lebens, was ihn jedoch nicht daran hinderte, auch die Allgemeinheit zu beglücken.

Sechs Märchen für sechs Hosen
So geschehen etwa mit der 1997 von ihm maßgeblich mitinitiierten „Schauenburger Märchenwache“, einem „Rücksturz in die Provinz“ und zugleich der konsequent vorangetriebenen Reaktion auf die von ihm bereits zwölf Jahre zuvor gemachte Entdeckung, unter seinen Vorfahren mit dem Dragonerwachtmeister Johann Friedrich Krause einen Märchenzuträger der Brüder Grimm zu haben. Der hatte diesen sechs Märchen erzählt, darunter „Der gelernte Jäger“, „Der König vom goldenen Berg“, „Der alte Sultan“ und „Die drei Schlangenblätter“ – im Gegenzug für sechs abgelegte Hosen von Wilhelm Grimm. Zum 200. Geburtstag der 1. Auflage der Grimm’schen „Kinder- und Hausmärchen“ von 1812 hat Albert Schindehütte nun – gemeinsam mit dem renommierten Germanisten und Märchenforscher Heinz Rölleke, der den Text verfasste – den opulenten Band „Es war einmal – Die wahren Märchen der Brüder Grimm und wer sie ihnen erzählt hat“ herausgebracht. Doch Schindehütte wäre nicht Schindehütte, wenn er nicht auch hier auf die nackten Tatsachen des Lebens zurückgegriffen hätte. Angesichts der im Buch mitgelieferten Ursprungsmärchen hebt sich so etwa unvermutet der Schleier über das bewegte Sexualleben Rapunzels. Denn wo es in der Grimm-Version noch harmlos heißt: „Sie verabredeten, dass er alle Tage zu ihr kommen sollte“, stand, wie wir nun wissen, im Originaltext sehr konkret: „Rapunzel gewöhnte sich daran, den Prinzen lieb zu haben. Und es dauerte nicht lange, da passte ihr kein Kleid mehr.“

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