Prachtvoller Abgang

Museum für Sepulkralkultur: Figürliche Särge aus Ghana
Schuld ist wieder mal Facebook, das heißgeliebte wiewohl viel gescholtene soziale Netzwerk. Und das ist auch gut so. Denn erst seit dort bekannt gegeben wurde, dass das Kasseler Museum für Sepulkralkultur im Dezember 2018 unverhofft 28 farbenprächtige, figürliche Särge aus Ghana als Geschenk erhalten hatte, mehrten sich die Begehrlichkeiten aus aller Welt, diese nun auch bitteschön ausgestellt sehen zu wollen. Ein Ansinnen, das schließlich in die unverhoffte Sonderausstellung »Mit dem Linienbus ins Jenseits« mündete, während der die spektakulärsten Exemplare der Schenkung dort noch bis zum 27. Oktober zu sehen sind – figürliche Särge im Einsatz zu Lande, zu Wasser und sogar in der Luft.

Mit Rinder-Sarg: die Ausstellungs-Kuratoren Gerold Eppler und Ulrike Neurath. Foto: Jan Hendrik Neumann

Mit Rinder-Sarg: die Ausstellungs-Kuratoren Gerold Eppler und Ulrike Neurath. Foto: Jan Hendrik Neumann

Cause I’m leaving on a jet plane/Don’t know when I’ll be back again/Oh baby, I hate to go …«, heißt es in einem Song, mit dem das amerikanische Folk-Trio Peter, Paul and Mary 1967 einen Welthit landete. Der Gedanke daran, diese Welt in einem Flugzeug zu verlassen, wurde in seiner materialisierten Form erstmals in den 50er Jahren realisiert, als der ghanaische Sargkünstler Seth Kane Kwei (1925–1992), der als einer der Pioniere dieses Genres gilt, ein eben solches Erdmöbel für seine verstorbene, zeitlebens nur aus der Ferne von der Luftfahrt faszinierte Großmutter schuf – und ihr damit zumindest posthum ein ganz besonderes Flugerlebnis bescherte. Sein ehemaliger Meisterschreiner Paa Joe gilt heute als markantester Vertreter dieser Kunstrichtung, die ihren Weg in die Museen dieser Welt erst durch eine Gruppe von Kaliforniern fand, die Kane Kweis figürliche Särge 1970 in dessen ghanaischem Atelier entdeckt hatte und sie daraufhin zwei Jahre später in Kalifornien öffentlich als Kunstwerke präsentierte.

Erfinder der Figurensärge
Weltweit sorgten die ungewöhnlichen Bestattungsobjekte schließlich 1989 für Furore, als sie im Rahmen der Ausstellung »Les Magiciens de la terre« im Pariser Centre Pompidou ausgestellt wurden. Wenig später räumte Kane Kwei ein, der eigentliche Erfinder der Figurensärge sei sein Onkel Ataa Oko Addo (1919–2012), der seine Werke erstmals 2006 bei der von Bernhard Fibicher kuratierten Ausstellung »Six Feet Under« im Kunstmuseum Bern zeigen konnte.

Alles für den Ahnenkult
Die Ursprünge der figürlichen Särge lassen sich als Begleiterscheinung der Kolonialzeit interpretieren, wie Ausstellungskuratorin Ulrike Neurath erläutert: „Bei der Volksgruppe der Ga, von der diese Särge heute genutzt werden, war es ja zuvor Usus, dass die Verstorbenen in einem sogenannten Ahnenhaus beigesetzt wurden. Särge kannten sie gar nicht.“ Und so sei die im Zuge der Christianisierung versuchte Veränderung der ursprünglichen Bestattungskultur auch nur zäh vorangekommen. „Die Ga haben immer sehr pragmatisch gehandelt, sich schnell mit politischen Umwälzungen arrangiert und auf neue Situationen eingestellt“, ergänzt Co-Kurator Gerold Eppler. „Gold- und Sklavenhandel waren für sie kein Problem und auch die positiven Aspekte der Missionierung, etwa das Gesundheits- und Bildungswesen, wurden gerne mitgenommen. Nur bei ihren Bestattungsbräuchen waren sie durchaus eigen – und haben sich deshalb auch oft kurz vor ihren Tod aus der neuen Religion zurückgezogen.“

Aufwendiger Begräbniskult
Durch Zugeständnisse beider Seiten sei es schließlich zu einer Verschmelzung der christlichen mit den archaischen, den Ahnenkult pflegenden und zuvor von den Kirchen als heidnisch abgelehnten Bestattungsformen gekommen. Gerold Eppler: „Die Ahnen spielen deshalb eine so wichtige Rolle, weil die Ga davon ausgehen, dass diese Einfluss auf das Leben ihrer Nachkommen nehmen. Deshalb wird in Ghana ein äußerst aufwändiger Begräbniskult betrieben, in den hohe Summen investiert werden, und die Begräbnisvorbereitungen für hochrangige Persönlichkeiten, die sogenannten Chiefs, können sich über mehrere Jahre erstrecken. Dafür gibt es sogar eigene Kühlhäuser, in denen die Toten dann gelagert werden bis es zur Begräbnisfeier kommt.“

Kein Hahn für Jedermann
Die Formensprache der figürlichen Särge, entstanden aus dem Boots- und Sänftenbau, ist in erster Linie in symbolischem Sinne zu verstehen. So wird dabei oft, etwa durch die Form eines Hobels oder Schuhs, Bezug auf den Beruf des Verstorbenen genommen, was diesem die erfolgreiche Fortsetzung seiner Arbeit im Jenseits garantieren soll. Oder sein besonderer gesellschaftlicher Status wird unterstrichen, etwa durch Klan-Totems wie Löwe, Hahn und Krabbe, die nur ausgewählten Oberhäuptern zustehen. Dabei sei insbesondere der Hang zum Detail bemerkenswert, wie Gerold Eppler ausführt: „Ob es nun um Schiffsschraube, Tacho, Tankanzeige oder Schaltknüppel geht – alles wird viel Liebe angefertigt.“ Wenngleich die ganze Pracht schließlich doch nicht immer ganz vollständig unter die Erde kommt, wie Ulrike Neurath zu berichten weiß: „Denn beim Ausheben wird sich schon gelegentlich verschätzt. Dann muss nachgebessert, tiefer ausgehoben werden und im Zweifelsfall, trotz aller zuvor verwandten Mühe und Kunstfertigkeit, kommt auch die Säge zum Einsatz. Was nicht passt, wird passend gemacht.“

Absturz über der Monterey Bay
Bliebe noch nachzutragen, dass der amerikanische Liedermacher John Denver, aus dessen Feder das seit 1967 weltbekannte »Leaving on a Jet Plane« stammt, genau 20 Jahre später selbst bei einem Flugzeugabsturz über der Monterey Bay bei San Francisco ums Leben kam. Denver hatte sein erst tags zuvor erworbenes Flugzeug – eine Long-EZ, die Ende der 70er Jahre entwickelt wurde und deren Pläne für einige Hundert Dollar frei erhältlich zum Eigenbau waren – erstmals eigenhändig geflogen. In welcher Art von Sarg er bestattet wurde, ist nicht überliefert.

Seit den 1940er Jahren bestattet die Volksgruppe der Ga viele ihrer Verstorbenen in bedeutungsvollen Särgen. Als einer der talentiertesten Sargkünstler der Gegenwart gilt der 1985 geborene Kudjoe Affutu.

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