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Jerome Nr. 28

JÉRÔME STADT Festakt 1913: Blick in den voll besetzten Festsaal im Rathaus 1913 Von Volker Schnell Was vor hundert Jahren als sensationeller Erfolg bejubelt wurde, würde uns heute befremden wie eine heidnische Orgie – „Cassels Tausendjahr-Feier“: Ein Rausch der Schwülstigkeit bedeckte mühsam eine Orgie des lokalen wie des nationalen, auf jeden Fall des Hurra-Patriotismus. „kassel 1100“ in diesem Jahr soll zum Glück ganz anders werden. G Ausbruch des Ersten Weltkriegs Furore, heit“: „Alles ... schien auf Dauer gegründet und formen und Kriecherei verliebt, aber überall waf-Unter dieser Oberfläche allerdings war das Zeitalterhöchst irrational, besonders in Deutschland in Uni-drängten Exil und kurz vor seinem Selbstmordidealisiert als „das goldene Zeitalter der Sicher-erade macht ein Buch mit diesem Titelvon Florian Illies über das letzte Jahr vor in dem alles funkelt, was es kulturell gerade Neues der Staat selbst der oberste Garant dieser Bestän- fenstarrend, der Krieg auf allen Seiten längst ge- gab: Strawinsky, Picasso, Proust usw. usw. In „Cas- digkeit ... Irgendein Krieg geschah wohl irgendwo, plant. Der Deutsche Kaiser delektierte sich privat sel“, wie es damals noch hieß, passierte nichts der- aber doch nur ein Kriegchen ... weit weg an der daran, wie seine Generale in Tutus vor ihm herum- gleichen; hier gab man sich der ebenso hem- Grenze, man hörte nicht die Kanonen, nach einem hopsten (einer erlag dabei einem Herzinfarkt). Als mungslosen wie unterwürfigsten Selbstbeweih- halben Jahr war er erloschen ...“ Denn eigentlich ein schlauer Kopf die deutschen Kriegsplaner vor räucherung hin. glaubte „niemand an Kriege, an Revolutionen und der Möglichkeit eines Kriegseintritts Amerikas Umstürze. Alles Radikale, alles Gewaltsame schien warnte, meinten sie abschätzig, davor hätten sie kei- Stefan Zweig hat „Die Welt von gestern“, nämlich bereits unmöglich in einem Zeitalter der Ver- ne Angst, die da drüben brächten keine schneidigen die bürgerliche Welt vor 1914, später in seinem be- nunft.“ Offiziere zuwege, denn sie hatten ja keinen Adel. 22 www.jerome-kassel.de


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