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JÉRÔME FEUILLETON Oktober 1813 – König Jérôme flieht aus Cassel Ende eines feierfreudigen „Modellstaats“ Große, umstürzende oder schreckliche Dinge scheinen in Kassel fast immer in ungeraden Jahren zu geschehen, vorzugsweise solchen mit einer 3 am Ende und/oder im Herbst: 913, 1913, 1943, 2013. Neben solchen, denen wir in diesem Jahr gedenken, gab es auch noch andere: 1803 wurde der Landgraf zum Kurfürsten, und 1813 zog er nach der Flucht des Königs Jérôme wieder in seine Residenz ein. Von Volker Schnell Geflohen war der Kurfürst selber auch im Herbst, aber in einem geraden Jahr, am 1. November 1806. Ein Jahr später wurde Cassel, wie es sich damals noch schrieb, Hauptstadt 30 www.jerome-kassel.de eines neuen Königreichs namens Westphalen, und am 6. Dezember 1807 traf der König, Napoleons kleinster Bruder Jérôme Bonaparte, auf Wilhelmshöhe ein, die er sogleich in Napoleonshöhe umbenannte; am 10. Dezember zog er mit Gattin, der dicken Katharina, feierlich in die Stadt ein. Jérôme war 23, ziemlich gutaussehend, nur (was Wunder) etwas klein geraten; laut allen Zeugnissen ein geborener Faulpelz und Schürzenjäger, der allerdings auch mit Liebenswürdigkeit und Herzensgüte für sich einzunehmen wusste. Ein paar Wochen stürzte er sich mit Feuereifer in seinen neuen Königsjob, dann verlor er das Interesse und ging lieber Feiern. Zu sagen hatte er ohnehin nicht viel, alles Wichtige wurde vom großen Bruder entschieden. Auch die diktierte Verfassung hatte Jérôme aus Paris gleich mitgebracht – wohin es ihn oft zurückzog. Zu sagen hatte Jérôme ohnehin nicht viel Es ist gleichwohl die erste Verfassung, die je auf deutschem Boden in Kraft trat, und anfangs gab das neue Königreich zu den schönsten Hoffnungen Anlass. Es sollte ein deutscher Modellstaat unter französischem Protektorat sein, mit befreiten Bauern, Gleichheit vor dem Gesetz, Religions- und Gewerbefreiheit und emanzipierten Juden. Einiges wurde hier wie auch andernorts während der später sogenannten „Franzosenzeit“ in Deutschland verwirklicht; so ist es kein Wunder, dass Krupp in Essen und Henschel in Kassel in diesen Jahren gegründet wurden. In Wahrheit jedoch wurde Westphalen durch großzügige Landschenkungen für den neuen napoleonischen Verdienstadel, hohe Steuern zur Kriegsfinanzierung und dauernde Zwangsrekrutierungen für Napoleons Armeen hemmungslos ausgebeutet, die befreiten Bauern verarmten wegen der Kontinentalsperre gegen England, Westphalen wurde zum Land der Bauernunruhen, des Banditenunwesens und der Polizeispitzel – während der Casseler Hof unter dem leichtlebigen König mit der französischen oder „französisierten“ Oberschicht hemmungslos feierte. Die Maskenfeste, die das Königspaar gab, sollen das Üppigste und Glänzendste gewesen sein, was Cassel je gesehen hat; da die ebenfalls üppige Königin es mit „Jerome zu Pferde“, Antoine Jean Baron Gros zugeschrieben. Das monumentale Reiterbildnis ließ Jerome reproduzieren, um es als diplomatisches Geschenk zu verwenden Fotos: museumslandschaft hessen kassel


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