„Jerome im Krönungsornat“, Francois Josèphe Kinson zugeschrieben. Der große Bruder Napoleon fand gar nicht toll, dass Jerome sich hier in kaiserlichem Purpur abbilden ließ. Jerome weigerte sich, die befohlene Änderung in königliches Blau vornehmen zu lassen www.jerome-kassel.de 31 dem Tanzen nicht so hatte, zog sie sich bald zurück, während Jérôme bis zu 16-mal die Verkleidung wechselte und eine Dame nach der anderen abschleppte. „Er hat mehr Luxus als ich“, beschwerte sich der Kaiser. „Morgen wieder lustik“ war sein einziger deutscher Satz, weshalb er im Volksmund „König Lustik“ genannt wurde. Für das Volk gab es zu Jérômes Geburtstag am 15. November nach Pariser Vorbild immer „Esswaren Lotterien“, man konnte riesige Pasteten und Schinken, Gänse und Hähnchen, Torten und Kuchen gewinnen und bekam dazu noch eine Flasche Wein. Zumindest die Gewinner durften sich einen Tag lang wie im Schlaraffenland fühlen. Auch sonst gab es dauernd Volksfeste, Tanz in öffentlichen Gärten, Wettschwimmen und Wettlaufen, alles vorher nie gesehen – Sport nach der Antike und abseits ritterlicher Wettkämpfe wurde ebenfalls in dieser Zeit erfunden. Bezahlt wurde das alles natürlich aus einer bald völlig überschuldeten Staatskasse. Und wer gerade nicht Schlemmereien in der Lotterie gewann, hungerte oft genug, während der Hof und seine Günstlinge prassten und die Lieferanten reich wurden – bis auch die Lieferanten ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt bekamen. Nach ein paar Jahren kippte die Stimmung So ist es kein Wunder, dass sich spätestens 1811 auch in der Stadt die Stimmung drehte, nachdem es bereits 1809 auf dem Land zu Aufständen gekommen war. Als das alte Stadtschloss abbrannte, wurde das als Omen gesehen. Natürlich wieder im Herbst, schon im November herrschte sibirische Kälte. Jérôme hatte in dem alten Kasten eine moderne Zentralheizung aus Kupferrohren einbauen lassen und wollte es trotz minus 20 Grad mollig warm haben. Also wurde die Heizung dermaßen auf Touren gebracht, dass die Kupferrohre glühten und die Glut sich irgendwo ins Holz fraß. Jérôme stürzte, einen Fuß im Stiefel, den anderen noch im Pantoffel, über schon brennende Flure in Sicherheit, während die Gattin ihre Juwelen rettete. Vom Schloss ist nur noch das Rondell übrig. Im nächsten Jahr sollte Jérôme beim Russlandfeldzug seines Bruders den rechten Flügel kommandieren, erwies sich aber als unfähig, nahm prompt seinen Abschied und traf schon im August wieder in Cassel ein, um, wie es ein Chronist ausdrückt, „auf dem Felde der Liebe sichere Lorbeeren zu pflücken und neue Feste zu feiern“. Als, wieder mal im Herbst, auf dem Königsplatz – der natürlich „Napoleonsplatz“ hieß – eine Statue des Namensgebers in römischer Imperatorentracht aufgestellt wurde, teilte der Dargestellte dem kleinen Bruder lapidar mit, dass die westphälische Armee als Teil der Grande Armée nicht mehr existierte; etwa 20.000 „Westphalen“ kehrten nicht zurück. Da Napoleon trotz alledem einfach nicht aufhören wollte zu siegen (ein Genie war er schon) sollte sich die ganze Sache noch fast ein Jahr hinziehen. Cassel lag abseits der großen Heerstraßen, weshalb man bis zum nächsten Herbst weder große Hoffnungen noch Befürchtungen hegte – bis am Morgen des 28. September 1813 plötzlich die Kosaken vor dem Leipziger Tor standen: eine versprengte Truppe von etwa zweitausend Reitern unter dem Befehl des Generals Graf Alexander Iwanowitsch Tschernitscheff tief hinter feindlichen Linien, von der niemand wusste, was sie eigentlich hier wollte. Sie schafften es ohne Fußtruppen nicht über die mit Artillerie verteidigte Fuldabrücke und waren am Abend wieder verschwunden. Jérôme türmte trotzdem, mit einem Tross von Günstlingen und Balletteusen im Schlepptau. Womit er recht tat, denn zwei Tage später waren die Kosaken wieder da, und diesmal besetzten sie kampflos die Stadt. Die Bevölkerung jubelte, ein paar übereifrige Jungs schlugen der Statue Napoleons die Nase ab. Doch nach ein paar Tagen zogen die „Befreier“ ab, Tschernitscheff musste sich dem Gros der russischen Verbände anschließen, die zu einer Entscheidungsschlacht gegen Napoleon zurück nach Osten marschierten. Am 7. Oktober waren wieder die Franzosen in der Stadt, am 13. tauchte sogar Jérôme noch einmal auf. Der war vor allem über die abgeschlagene Nase der Statue erbittert: „Unglück über die Stadt, da ich bei meiner Rückkehr die Statue meines augusteischen Bruders nicht wiederhergestellt vorfinde“, ließ er verkünden, doch dann Großmut walten, denn die Casseler sammelten sofort Geld für eine neue (Statue, nicht Nase). Jérômes Großmut verging mit seiner Hoffnung: Vom 16. bis 19. Oktober verlor Napoleon die Völkerschlacht bei Leipzig gegen Russen, Preußen, Österreicher, Schweden und ein bisschen entsandte britische Artillerie. Bevor Jérôme am 26. Oktober mit seiner Armee und seinem ganzen Hofstaat Cassel endgültig verließ, konfiszierte er alles, was nicht niet- und nagelfest war und nahm es mit. Jacob Grimm sollte später als Gesandter des Kurfürsten allerhand geraubte Kunstschätze in Paris wieder auftreiben und zurückbringen. Nichts wurde besser, nur vieles wie früher Am Sonntag, 21. November 1813, zog Kurfürst Wilhelm I. unter großem Jubel der Bevölkerung wieder in seine angestammte Residenz ein. Ein paar kräftige junge Männer spannten die Pferde seiner Karosse aus und ließen den Herrscher sozusagen die Königsstraße entlangschweben. Der Hofbäcker hängte ein Tuch in seinen Laden, mit der Aufschrift: „Wer nicht seinen Kurfürsten will lieben, den will ich in den Ofen schieben!“ Dasselbe Tuch hatte er früher zu Jérômes Geburtstagen aufgehängt – nur hatte da noch „König“ gestanden. Der Kurfürst hob sofort die Verfassung, die Gleichheit vor dem Gesetz und viele andere Neuerungen wieder auf, dafür führte er die Leibeigenschaft und den Zopf beim Militär wieder ein. Nichts wurde besser, nur vieles wie früher. Und König Jérôme, der ist heute – nun ja, zumindest Namenspatron dieses Magazins. Ein verschwundener Schatz? Bleibt die Frage, was die Kosaken überhaupt so früh in Cassel wollten. Es gab mal ein Gerücht, die Rothschilds hätten Tschernitscheff für das militärisch völlig sinnlose Unternehmen bezahlt, um nach einem verschwundenen Schatz zu suchen. Tatsächlich haben, was kaum jemand weiß, die Rothschilds ihr Vermögen mit dem „Schatz des Kurfürsten“ von Hessen-Cassel gemacht (so der Titel eines heute vergessenen Romans von Levin Schücking und des zweiten Kapitels von Niall Fergusons „The House of Rothschild“: „The Elector´s Treasure“), den sie vor dem Zugriff Jérômes in Sicherheit brachten, verwalteten und dem Kurfürsten später mit Zins und Zinseszins zurückzahlten; aber in Wahrheit sollen sie in den Wirren der Napoleonischen Kriege das x-fache daraus gemacht haben. Vielleicht ist ein Teil des Schatzes sowohl ihnen wie auch Jérôme entgangen und tatsächlich verschwunden? Jedenfalls waren in der Ruine des alten Stadtschlosses noch jahrzehntelang Schatzsucher unterwegs – bis 1866, in einem geraden Jahr aber wieder im Herbst, die Preußen kamen, die Ruine abrissen und ihr Regierungspräsidium an die Stelle setzten. Nach der Zerstörung im Herbst 1943 steht dort heute ein neues Regierungspräsidium. JÉRÔME FEUILLETON
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