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34 www.jerome-kassel.de JÉRÔME WIRTSCHAFT ball zu spielen, dann spielst Du halt morgen Hockey.“ Diese Ansprüche kommen später eins zu eins in die Unternehmen. Jérôme: Was bedeutet das für die Unternehmen? Jastrzembowski: Leider Gottes müssen sie sich damit in der Führung auseinandersetzen. Wenn eine Führungskraft zum Beispiel nachfragt „Heute Mittag sprechen wir über jenes Projekt, Sie wollten das fertig machen. Was ist damit?“, muss sie damit rechnen, dass diese Generation antwortet „Dann hätten Sie mich mal daran erinnern müssen“. Das ist ein wahnsinniges Selbstbewusstsein, gepaart mit „ich kann alles und bin was ganz Besonderes und entweder Du verstehst das, oder ich bin weg“. Diese Situationen sind für viele völlig neu. Jérôme: Ist das eine Erfahrung, die Sie bestätigen können, Frau Esterer? Esterer: Ich erlebe das auch so. Dem Unternehmen wird viel abverlangt. Wir haben deswegen ein Nachwuchsförderungsprogramm gestartet, wo wir diese Leute erst mal hineinstecken. Die können teilweise kein Projektmanagement, kein Zeitmanagement. Und wir bringen ihnen das im Einzelnen bei. Auch um ihnen zu zeigen, dass sie noch lernen müssen. Jérôme: Wer lässt sich besser in neue Prozesse integrieren? Die alten Hasen oder die jungen Leute? Jastrzembowski: Das kann man pauschal nicht sagen. Es ist ja nicht eine ganze Generation gleich. Man muss schauen, dass ein großer Teil so ist, weil er so sozialisiert wurde. Und deshalb gibt es bei dieser Frage nicht die oder die. Bei den jungen Leuten müssen Unternehmen häufig nachholen, was im Studium und in der Ausbildung passieren müsste. Das liegt daran, dass unser Ausbildungs- und Studiensystem so verschult wurde. Das ist der Stolperstein bei jungen Menschen. Bei älteren ist es das Loslassen. Da geht es um Veränderungskompetenzen. Darum, dass sie etwas hinter sich lassen müssen, um „noch“ Neues zu lernen. Jérôme: Wie kann man Veränderungskompetenzen schärfen? Esterer: Das hängt ganz stark mit den Führungskräften zusammen. Ich kann ja nicht alle Mitarbeiter einzeln beatmen. Bei uns habe ich versucht, aus meinen Führungskräften Coaches zu machen. Versucht deshalb, weil dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Besonders Ingenieure führen gerne fachlich und haben meist nicht gelernt, motivierend auf Menschen einzuwirken und sie mit einzubeziehen. Auch ein Produktionsleiter muss ein Coach werden. Eine Ebene höher, bei den Führungskräften, die mit mir das Unternehmen steuern, ist die fachliche Qualifikation immer weniger entscheidend. Vielmehr geht es um die Frage, was sie motiviert, wie viel Engagement sie einbringen, ob sie scharfsinnig sind, im besten Sinne neugierig und in der Lage, Veränderungsprozesse mitzutragen. Diese Eigenschaften sind bei der Suche nach Führungskräften in Zukunft sehr viel wichtiger als das, was der Lebenslauf hergibt. Jastrzembowski: Es geht heute sehr stark um Persönlichkeitskompetenz. Ich muss einen Veränderungswillen in mir tragen, aushalten können und auch Unsicherheiten managen. Das erfordert innenliegende Persönlichkeitsanteile, die man heute einfach braucht. Jérôme: Was bedeutet das für das Selbstverständnis von Führungskräften? Jastrzembowski: Ich muss mir im Klaren sein, dass ich nicht mehr fachlich führe und durch Wissensvorsprung. Das Wissen kommt von den 80 Leuten um mich herum. Ich bin mal Kümmerer, mal Berater, mal Kontrolleur und manchmal auch der Wissensgeber, der Lehrer oder der Moderator. Mal bin ich Teilzeitmitarbeiter in einem Projekt, mal Teilzeitführungskraft. Das ist die Zukunft von Führen, diesen Rollenwechsel vollziehen zu können. Jérôme: Wie haben sich die Rahmenbedingungen für Mitarbeiter verändert? Esterer: Was uns angeht, sind wir sehr flexibel geworden. Auch in Bezug auf Arbeitszeitmodelle. Alle Mitarbeiter haben ein Arbeitszeitkonto, was von beiden Seiten genutzt werden kann. Wenn jemand am Nachmittag mal seine Kinder abholen muss, weil die Frau krank ist, dann kann er das tun. Und andersherum nutzen wir das auch. Der Anpassungsfähigste überlebt, das ist heute am Markt so. Und da ist der Mitarbeiter gefordert, nicht nur im Kopf, sondern auch mit seiner Zeit, die er dem Unternehmen schenkt, flexibel zu sein. Julia Esterer, Geschäftsführerin der Dr.-Ing. Ulrich Esterer GmbH & Co. Fahrzeugaufbauten und Anlagen KG Ilka Jastrzembowski, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Personal- und Organisationsentwicklung Müller+Partner


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