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Jerome_Nr_42

www.jerome-kassel.de 11 JÉRÔME STADT Es gibt so Tage, die möchte ich am liebsten vergessen. Schlecht geträumt, schlecht geschlafen, zu spät aufgestanden. Gegen die Badezimmertür gelaufen, das Brotmesser in die Handfläche gerammt, die Marmelade runtergefallen (das Glas war offen), der Müllbeutel auf der Treppe gerissen... Wenn ich an so einem Tag endlich im Auto sitze, weiß ich, dass es so weitergehen wird. Ganz plötzlich habe ich die Fähigkeit verloren, problemlos ein- und auszuparken. Meine Autotür bekommt eine neue Verzierung hinten rechts von einem Betonpfeiler im Parkhaus. Der Parkscheinautomat will meinen Geldschein nicht und spuckt ihn angeekelt aus und der Mann hinter mir kann nicht wechseln. Alles von vorn, schnell noch einmal die Geheimnummer falsch eingegeben und mich dann aus dem Parkhaus befreit. Im Auto fallen mir die Gummibärchen in den Fußraum (ich weiß, ich weiß...) und ich stelle fest, dass weiße Hosen für Journalistinnen keine Berufsbekleidung sind. Wo kommt eigentlich die Schmiere her? Das Auto macht komische Geräusche. Die Hoffnung, es säße einfach nur ein klopfender Kolumne Es gibt so Tage... Waschbär auf dem Dach, wird durch 1.000 blinkende Warnzeichen erstmal zunichte gemacht. Das Ölkännchen blinkt am heftigsten, also ran an die Tankstelle. Die Ölflaschen machen mich in ihrer Schönheit und Geballtheit etwas nervös, aber, das Schicksal meint es gut mit mir: In Gestalt eines jungen Mannes ereilt mich eine Servicekraft, die es richtig ernst meint. Im Gegensatz zu mir agiert er virtuos mit Ölstab und Kännchen und macht ein ernstes Gesicht. Er schüttet fast zwei Liter nach, ermahnt mich freundlich, mein Auto besser zu versorgen, und ich kann weiterfahren. Nicht ohne vorher das Auto auszustaubsaugen, und meinen Lieblingslippenstift im Staubsauger mit lautem Plopp verschwinden zu hören und zu sehen. Im Büro fällt mir dann mein Passwort für den Computer nicht ein. Als es mir einfällt will er es trotzdem nicht. Mein Kollege lacht und lacht noch mehr, als ich ihm gallebitter Rache schwöre... Selbst der Schokoriegel, den ich jetzt unbedingt essen muss, hat sich heute mit irgendetwas gegen mich verbündet: ich reiße an ihm herum, erst geht er nicht auf, dann fällt er runter und erspart mir die lästige Kalorienaufnahme. Ich mag nicht mehr. Neue Schokolade soll her. Das treibt mich in den Supermarkt meines Vertrauens. Dort sind treffsicher meine Lieblingsschokoriegel ausverkauft und ich stelle mich mit der zweitbesten Schokolade zielsicher in die längste und komplizierteste Kassenschlange. Allerdings bei meiner Lieblings-Kassiererin. Während ich hektisch nach Kleingeld und einem Sinn für diesen verkorksten Tag suche, serviert sie mir ganz gelassen lächelnd die Lösung: „Es liegt am Wetter!!! Heute ist Ausnahmezustand, alle spielen verrückt...“ Draußen weht mir der Wind um die Nase, und der Himmel wird schon wieder schwarz: Das Wetter ist immer für etwas gut!!! Da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Alle Passwörter und Geheimzahlen fallen mir urplötzlich wieder ein und ich söhne mich mit der Verpackung meines Schokoriegels aus... Einen guten Sommer und gutes Wetter wünscht Ihnen Petra Nagel Foto: Mario Zgoll


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