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Foto: nh Anja Bihlmaier ist derzeit an der Staatsoper Hannover tätig, doch bald wird sie auch in Kassel bekannt sein. Die Dirigentin wechselt zur Spielzeit 2015/16 ans Kasseler Staatstheater, wo sie als Erste Kapellmeisterin und stellvertretende Generalmusikdirektorin die Nachfolge von Yoel Gamzou antritt. Anja Bihlmaier stammt aus Schwäbisch Gmünd. Sie erhielt Unterricht in Violine, Gesang und Klavier und absolvierte ihre Dirigier-Studien in Freiburg und Salzburg. 2005 wurde sie in das Dirigentenforum des Deutschen Musikrates aufgenommen, und im darauffolgenden Jahr gewann sie einen Preis beim internationalen Dirigierwettbewerb „Dimitri Mitropoulos“ in Athen. Das Operncafé zur Neuproduktion „Norma“ am 19. September und das Theaterfest am 27. September sind die ersten Veranstaltungen, bei denen sie sich in ihrer neuen Kasseler Wirkungsstätte präsentieren wird. Wir schickten ihr einige Fragen nach Hannover. 24 www.jerome-kassel.de Jérôme: Frau Bihlmaier, hatten Sie ein bestimmtes Erlebnis, das Sie dazu inspirierte, Dirigentin zu werden? Anja Bihlmaier: Mein Musiklehrer ließ mich in der 12. Klasse die szenische Kantate „Till Eulenspiegel“ mit 90 beteiligten Schülern einstudieren und dirigieren. Zuerst war ich nervös und hatte großen Respekt vor dieser Aufgabe. Aber als ich dann vor dem Orchester stand, spürte ich plötzlich eine ungeheure Energie und Freude, die mich ungehemmt musizieren ließ. Danach war es um mich geschehen – der „Dirigiervirus“ hatte mich gepackt und ich folgte meinem Weg. Jérôme: In seinem 1960 erschienenen Buch „Masse und Macht“ meinte der Schriftsteller Elias Canetti: „Es gibt keinen anschaulicheren Ausdruck für Macht als die Tätigkeit des Dirigenten.“ Stimmt Canettis Einschätzung oder ist dies nur ein Klischee über Pulttyrannen vergangener Tage? Bihlmaier: Es gab bestimmt Dirigenten in der Vergangenheit, auf deren Führungsstil diese Beobachtung zutraf. Für mich ist dieser Machtbegriff negativ konnotiert und findet sich weder in meinem Selbstverständnis noch in meiner Auffassung vom Dirigieren wieder. Vielmehr ist mein Anliegen, dem Orchester – einem Kollektiv hochspezialisierter Individualisten – eine Interpretation zu vermitteln, die möglichst so fundiert und inspirierend ist, dass alle bereit sind, ihre Energie dafür einzusetzen. Durch diese vereinten Kräfte möchte ich mit allen zu einem möglichst perfekten Ergebnis im Sinne der Komposition kommen. Jérôme: Heute gibt es in Orchestern zwar viele Musikerinnen, aber im Vergleich mit den Dirigenten sind die Dirigentinnen noch immer in der Minderzahl. Ist das Patriarchat in dieser Hinsicht noch nicht überwunden? Von Georg Pepl


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