Heraus zum 3. Oktober! Noch im Abseits: Kassels Obelisk der Einheit Von Jan Hendrik Neumann 18 www.jerome-kassel.de Stolze 50.000 Mark standen dafür bereit – eine Riesensumme, und zugleich eine Riesenchance für die kreativen Köpfe jener »Fin de Siècle «-Zeit von 1895. Denn, ohne Einschränkung, „alle deutschen Künstler“ – so hieß es im Ausschreibungstext – waren aufgerufen, sich daran zu beteiligen: am großen Wettbewerb für ein wahrhaft würdiges »Denkmal zur Verherrlichung der Einigung Deutschlands«, einem erst durch generöse Privatinitiative ermöglichten Monument zur Erinnerung an die im Anschluss an den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 erfolgte, nunmehr bereits zweite Gründung des Deutschen Reiches, initiiert als Akt bürgerlicher Elite und möglich erst ab 1866, dem Ende des Kurfürstentums, wie es Stefan Schweizer in seinem Buch »Geschichtsdeutung und Geschichtsbilder – Visuelle Geschichtskultur in Kassel 1866 – 1914« (Wallstein Verlag 2004) beschreibt: „Ein neues kommunales Selbstbewusstsein wollte seine historischen Wurzeln veranschaulicht sehen. Insofern sind die in diesem Zeitraum in Kassel errichteten Denkmäler als Repräsentation eines neuen »Geschichtsverständnisses « zu verstehen.“ Ein Kasseler Kunstwerk Die dafür, in Gestalt einer Stiftung, ihr Kapital zur Verfügung stellenden Mäzene – die zeitlebens als Junggesellen verbliebenen Brüder Heinrich (1830 – 1881) und Johannes (1823 – 1892) Wimmel –, prosperierende Maler- und Weißbindermeister in Kassel, die den Großteil ihres Vermögens von über einer halben Million Mark dem Bau gesunder Wohnungen, wohltätigen Zwecken, der Krankenfürsorge sowie Kunst, Wissenschaft und Stadtverschönerung verschrieben, erlebten indes weder die Ausschreibung noch den durch eine hochkarätig besetzte Jury gekürten Siegerentwurf, für den ebenfalls nur die Vorgabe bestanden hatte, er möge „vorwiegend architektonischen Charakter“ tragen sowie, als integralen Bestandteil, mit einer Büste des zur Reichsgründung am 18. Januar 1871 vom preußischen König zum deutschen Kaiser proklamierten Wilhelm I. versehen sein. Vermutlich hätte sich insbesondere Johannes Wimmel, der als 19-Jähriger selbst die Kasseler Kunstakademie besuchte, über den schließlich siegreichen Entwurf und dessen Schöpfer gefreut: Mit dem 1845 in Berlin geborenen Carl Begas war die Wahl auf einen Bildhauer gefallen, der von 1890 bis 1898 als Professor an der Kasseler Kunstakademie lehrte, mithin mit diesem Werk den krönenden Abschluss seines Schaffens in Kassel ablieferte, unterstützt von seinem hochtalentierten Schüler Hans Everding. Hosen für den nackten Sohn Am 10. Mai 1898 wurde der detailgetreu realisierte Entwurf schließlich aufgestellt: Ein 12 Meter hoher Obelisk, ausgeführt in Sandstein aus dem Teutoburger Wald, mit der Sockelinschrift »ZUR ERINNERUNG AN DIE / EINIGUNG DEUTSCHLANDS / 1870 – 1971« sowie der Postamentinschrift »GESTIFTET / VON / H. u. J. WIMMEL / IHRER / VATERSTADT / CASSEL / 1898«, bestückt mit zwei seitlich angebrachten Becken. Als Wasserspeier: Löwenköpfe. Drei Bronzerelief-Bildnisse zeigten zudem das geforderte Antlitz von Wilhelm I. sowie den ersten Kanzler des neuen Reiches, Otto von Bismarck, wie auch den Generalstabschef und siegreichen Feldherrn Helmuth Graf von Moltke. Zur Vorderseite des prominent am Anfang der Wilhelmshöher Allee – auf dem damaligen Wilhelmshöher Platz, heute Brüder Grimm-Platz –, nahe dem Hessischen Landesmuseum aufgestellten Werkes, als allegorische Bronzen platziert, war zum einen Klio zu sehen, die Muse der Geschichtsschreibung, im »Buch der Geschichte« schreibend, wie auch ein nackter Jüngling, gerade im Begriff, das Kaiserporträt mit einem Lorbeerkranz zu schmücken. Im für gewöhnlich zur Drastik neigenden Volksmund, Aufgestellt am Anfang der Wilhelmshöher Allee prägte der Einheits- Obelisk für 66 Jahre das Stadtbild Kassels – bevor er 1964 grundlos abgebaut und in den benachbarten Fürstengarten bzw. Murhardpark versetzt wurde Fotos: Jan Hendrik Neumann, Privatarchiv JÉRÔME STADT
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