In Abwesenheit der GRIMMWELT: Der deutsche Wald – mitunter märchenhaft 26 www.jerome-kassel.de WILDSAU „Wenn sie als Förster einen Märchenfilm sehen, da stehen ihnen manchmal die Haare zu Berge ...“ Dr. Kai Füldner, studierter Forstwissenschaftler und Direktor der Städtischen Museen Kassel, hat ein höchst aufmerksames Publikum vor sich, als er sich anschickt, im Rahmen der Sonderausstellung »FinsterWald« über die märchenhaften Ingredenzien des deutschen Waldes zu sprechen, mithin »Von Grimbärten, Nachtschatten und Erdsternen«. Alle finden ihn toll“, so Dr. Füldner über den Film »Drei Nüsse für Aschenbrödel «. „Doch dann reitet dieser Prinz da im wallenden Ornat durch eine Fichten-Kiefern- Monokultur!“ Was ja nun gar nicht ginge, denn: „Unser Märchenwald, der Wald der Brüder Grimm, der des frühen 19. Jahrhundert, das ist nicht der Wald, den wir heute haben.“ Ein lichter, heller Eichen-Hutewald sei es vielmehr gewesen, in den man noch das Vieh zum Grasen trieb. „Das war eher ein parkartiger Waldanblick.“ Der Wald als Sehnsuchtsort, „wie er sich offensichtlich bis heute in unserer Volksseele festgesetzt hat“, existiere erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen der Romantik. Dunkel sei er nicht zuletzt geworden, weil der steigende Bedarf nach geradem Holz das dichte Anpflanzen von Buchen erforderlich gemacht habe. Auch Kiefern gruppiere man deshalb um die Eichen, damit diese nicht seitwärts, sondern nach oben wachsen – erbringen Der Erdstern-Pilz: Inspirierte er zum Brüder Grimm-Märchen »Die Sterntaler«? sie doch so den höchsten Ertrag für den Forstwirt: „Bevor Eichen gefällt werden, ab 250 Jahren, müssen sie von zehn Förstergenerationen gepflegt werden, um schließlich astloses Furnierholz liefern zu können. Dann – und auch nur dann – ist ein solcher Baum 10.000 Euro wert.“ Das Vertrauen der Förster Als weitgehend verborgene, „wahrscheinlich jedoch größte Lebewesen auf diesem Planeten“ präsentiert der Forstexperte die zunächst eher unscheinbar wirkenden Pilze, allen voran die in Märchen besonders präsenten Fliegen- und Steinpilze, aber auch den pittoresk wirkenden Erdstern. „Es gibt in Mitteleuropa Tausende von Pilzarten, doch die meisten sind für uns nicht sichtbar, weil sie keinen so plakativen Fruchtkörper haben.“ Viele hätten dafür jedoch ein feines, sich über riesige Dimensionen erstreckendes Wurzelwerk, den eigentlichen Pilz. Tiere, wie etwa der Dachs als Von Jan Hendrik Neumann Foto: A.S.Floro / shutterstock.com, Bildagentur Zoonar GmbH / shutterstock.com, Jan Hendrik Neumann Seit frühester Jugend vertraut mit dem Wald: Museumsdirektor Dr. Kai Füldner. »Meister Grimbart«, würden im Märchen und auch in Fabeln immer dann eine Rolle spielen, wenn sie vom Menschen zuvor mit bestimmten feststehenden Eigenschaften wie Intelligenz, Dummheit oder Bedächtigkeit belegt worden seien, erläutert Füldner. Und kommt sogleich auf ein großes Manko, betreffend sein eigenes »Lieblingswild «: „Ein Tier, das im Märchen leider weitgehend außer Acht gelassen wurde, ist das Wildschwein. Obwohl es sehr intelligent wie auch familiär ist und sogar, anders als man vermuten könnte, einen natürlichen, sympathischen Geruch hat – fast wie frisch gesägtes Holz.“ Märchenhafter als all dies bleibt jedoch sein Verweis auf all die vertrauensvollen Förstergenerationen in Erinnerung, die dafür gesorgt haben, dass Deutschland heute – ganz im Gegensatz etwa zu England oder Italien – stolze 32 Prozent Waldfläche hat, mit rund 90 Milliarden jungen und alten Bäumen. „Das ist ein Erbe, das man gar nicht hoch genug schätzen kann!“ JÉRÔME FEUILLETON
2019_S00001_00052
To see the actual publication please follow the link above