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Museum für Sepulkralkultur: Figürliche Särge aus Ghana Von Jan Hendrik Neumann Seit den 1940er Jahren bestattet die Volksgruppe der Ga viele ihrer Verstorbenen in bedeutungsvollen Särgen. Als einer der talentiertesten Sargkünstler der Gegenwart gilt der 1985 6 www.jerome-kassel.de JÉRÔME STADT Prachtvoller Schuld ist wieder Mal Facebook, das heißgeliebte wiewohl viel gescholtene soziale Netzwerk. Und das ist auch gut so. Denn erst seit dort bekannt gegeben wurde, dass das Kasseler Museum für Sepulkralkultur im Dezember 2018 unverhofft 28 farbenprächtige, figürliche Särge aus Ghana als Geschenk erhalten hatte, mehrten sich die Begehrlichkeiten aus aller Welt, diese nun auch bitteschön ausgestellt sehen zu wollen. Ein Ansinnen, das schließlich in die unverhoffte Sonderausstellung »Mit dem Linienbus ins Jenseits« mündete, während der die spektakulärsten Exemplare der Schenkung dort noch bis zum 27. Oktober zu sehen sind – figürliche Särge im Einsatz zu Lande, zu Wasser und sogar in der Luft. Cause I’m leaving on a jet plane/Don’t know when I’ll be back again/Oh baby, I hate to go …«, heißt es in einem Song, mit dem das amerikanische Folk-Trio Peter, Paul and Mary 1967 einen Welthit landete. Der Gedanke daran, diese Welt in einem Flugzeug zu verlassen, wurde in seiner materialisierten Form erstmals in den 50er Jahren realisiert, als der ghanaische Sargkünstler Seth Kane Kwei (1925–1992), der als einer der Pioniere dieses Genres gilt, ein eben solches Erdmöbel für seine verstorbene, zeitlebens nur aus der Ferne von der Luftfahrt faszinierte Großmutter schuf – und ihr damit zumindest posthum ein ganz besonderes Flugerlebnis bescherte. Sein ehemaliger Meisterschreiner Paa Joe gilt heute als markantester Vertreter dieser Kunstrichtung, die ihren Weg in die Museen dieser Welt erst durch eine Gruppe von Kaliforniern fand, die Kane Kweis figürliche Särge 1970 in dessen ghanaischem Atelier entdeckt hatte und sie daraufhin zwei Jahre später in Kalifornien öffentlich als Kunstwerke präsentierte. geborene Kudjoe Affutu. Fotos: Jan Hendrik Neumann, Museum für Sepulkralkultur Erfinder der Figurensärge Weltweit sorgten die ungewöhnlichen Bestattungsobjekte schließlich 1989 für Furore, als sie im Rahmen der Ausstellung »Les Magiciens de la terre « im Pariser Centre Pompidou ausgestellt wurden. Wenig später räumte Kane Kwei ein, der eigentliche Erfinder der Figurensärge sei sein Onkel Ataa Oko Addo (1919–2012), der seine Werke erstmals 2006 bei der von Bernhard Fibicher kuratierten Ausstellung »Six Feet Under« im Kunstmuseum Bern zeigen konnte. Alles für den Ahnenkult Die Ursprünge der figürlichen Särge lassen sich als Begleiterscheinung der Kolonialzeit interpretieren, wie Ausstellungskuratorin Ulrike Neurath erläutert: „Bei der Volksgruppe der Ga, von der diese Särge heute genutzt werden, war es ja zuvor Usus, dass die Verstorbenen in einem sogenannten Ahnenhaus beigesetzt wurden. Särge kannten sie gar nicht.“ Und so sei die im Zuge der Christianisierung versuchte Veränderung der ursprünglichen Bestattungskultur auch nur zäh vorangekommen. „Die Ga haben immer sehr pragmatisch gehandelt, sich schnell mit politischen Umwälzungen arrangiert und auf neue Situationen eingestellt“, ergänzt Co-Kurator Gerold Eppler. „Gold- und Sklavenhandel waren für sie kein Problem und auch die positiven Aspekte der Missionierung, etwa das Gesundheits- und Bildungswesen, wurden gerne mitgenommen. Nur bei ihren Bestattungsbräuchen waren sie durchaus eigen – und haben sich deshalb auch oft kurz vor ihren Tod aus der neuen Religion zurückgezogen.“ Aufwendiger Begräbniskult Durch Zugeständnisse beider Seiten sei es schließlich zu einer Verschmelzung der christlichen mit den archaischen, den Ahnenkult pflegenden und zuvor von den Kirchen als heidnisch abgelehnten Bestattungsformen gekommen. Gerold Eppler:


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