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Stars und Hochkaräter gastieren vom 12. Juli bis 25. August im Kulturzelt Kassel www.jerome-kassel.de 9 JÉRÔME STADT Ein Sommer voller Glanzpunkte Auf der Facebook-Seite des Kulturzelts Kassel ist zu lesen: „Rock, Jazz, Pop, Weltmusik, Soul, Funk, Blues, neue Talente, und davon natürlich nur das Beste.“ Die Selbstbeschreibung mag nicht gerade bescheiden klingen, sie ist aber völlig richtig – wie die Hochkaräter und Stars in der nun schon 32. Kulturzelt- Saison beweisen. Zum Beispiel kommt am 12. August die Band, die den wahrscheinlich wichtigsten deutschsprachigen Song 2017 vorlegte. Ein Song wie gute Literatur Die Rede ist von der Hamburger Indie-Rock-Band Kettcar und „Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“. Für die Schriftstellerin Juli Zeh ist es „ein Song wie gute Literatur“. Tatsächlich funktioniert das Lied wie eine musikalische Erzählung. Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch berichtet davon, wie jemand im August 1989 von Hamburg ins Burgenland fährt – über die Kasseler Berge – und an der österreichisch-ungarischen Grenze mit dem Bolzenschneider Löcher in den Zaun schneidet. Der unbekannte Held der Geschichte ermöglicht damit DDR-Bürgern die Flucht in den Westen, vierzehn Menschen, drei Familien. Zurück in Hamburg sieht sich der Protagonist des Kettcar-Lieds den Vorwürfen seiner (linksalternativen) WG-Mitbewohner ausgesetzt. Die geben zu bedenken, eine kommende deutsche Einheit sei ein großer Fehler, weil Deutschland nie wieder ein Machtblock mitten in Europa werden dürfe. Eine solche Hilfe zur Flucht der DDR-Bürger würde nur zur weiteren Destabilisierung der Verhältnisse beitragen, deshalb sei die Aktion menschlich verständlich, aber trotzdem falsch. Der Unbekannte entgegnet: „Ihr wisst, dass das Schwachsinn ist.“ Pathetisches Plädoyer für Mitgefühl Das Kettcar-Lied ist ein durchaus pathetisches Plädoyer für Mitgefühl, Solidarität und Menschlichkeit und deshalb so brillant, weil es die gegenwärtige Flüchtlingssituation mit dem Hinweis auf 1989 kommentiert. Wer etwas gegen Flüchtlinge hat, sollte sich an damals erinnern. Dass diese Haltung nicht nur Lob, sondern auch Kritik hervorgerufen hat, ist angesichts der tiefen Gräben in der Gesellschaft nicht weiter verwunderlich. Unbestritten sind jedoch der Mut und die Aussagekraft der Kettcar-Texte, die sich von gefälligem Befindlichkeitspop abheben. Politische Statements gelten schnell als uncool, aber genau damit lässt die Band aufhorchen. Politisch ist bereits der Titel des aktuellen Kettcar- Albums, heißt es doch „Ich vs. Wir“ – ein Gegensatz, den das Lied „Wagenburg“ thematisiert. Äußerst schlau arbeitet der Text die Ambivalenz sowohl des Individualismus als auch des Kollektivismus heraus. Ein „Ich“ will nur sich optimieren, kann aber auch erhaben sein über kollektive Zwänge. Ein „Wir“ kennt Solidarität, kann aber auch einen Mob bilden und Verräter hängen. Im Refrain heißt es: „Wo Egoschweine erst alleine/ Und dann zusammen, nur an sich denkend, sich Von Georg Pepl Die Techno-Marching-Band Meute eröffnet die Saison mit einem heißen Mix aus Techno und Blasmusik.


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