Die Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK) zeigt im Museum Fridericianum Kassel noch bis 16. Juni die große Landesausstellung „Jordaens und die Antike“. Die Ausstellung ist das Kunstereignis des Jahres in Kassel. Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck und Jacob Jordaens gelten als die Großmeister der flämischen Barockmalerei. Dennoch musste sich Jordaens bislang mit einem Platz im Schatten der anderen begnügen – obwohl er nach dem Tod von Rubens (1640) und van Dyck (1641) fast vierzig Jahre den Kunstmarkt in Flandern beherrschte.
„Jordaens und die Antike“ ist die erste Ausstellung, die sich seinem Schaffen widmet. Konzipiert wurde sie von der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK) und den Königlichen Kunstmuseen Belgiens in Brüssel, wo sie bis Ende Januar zu sehen war. Anhand von über 100 Werken von Jordaens, seinen Zeitgenossen, antiken Kunstwerken und monumentalen Tapisserien wird die Wechselwirkung zwischen der Antike und dem Künstler anschaulich dargestellt.
Profunde Kenntnisse der Antike
Die Ausstellung nähert sich Jordaens auf unterschiedlichen Wegen. So wird unter anderem gezeigt, wie im 17. Jahrhundert ein Maler in Antwerpen mit antiken Kunstwerken in Berührung kam. „Obwohl er sein Heimatland nie verließ, verfügte er über profunde Kenntnisse der Antike“, sagt Dr. Justus Lange, Leiter der Gemäldegalerie Alter Meister Kassel im Schloss Wilhelmshöhe. Eine große Rolle spielten die Werke Rubens. Im Vergleich der beiden Maler zeige sich, wie unterschiedlich sich beide Künstler mit der Antike auseinandersetzten.
Jordaens und die Moderne ist ein weiterer Aspekt. „In der Kunst nach 1945 scheint eine Figur wie er zunächst keine Rolle zu spielen – zu dominant war die ungegenständliche Malerei. Seit den 1970er-Jahren gab es in Deutschland wieder eine Hinwendung zur figurativen Malerei“, sagt Lange. Johannes Grützke, Hubertus Giebe und Rainer G. Mordmüller sind die prominentesten Künstler, bei denen Jordaens Einfluss genommen hat. Sie sind mit großformatigen Gemälden vertreten und schlagen eine spannungsreiche Brücke von der Moderne in das 17. Jahrhundert.
Die Ausstellung revidiert das althergebrachte Bild Jordaens als gutbürgerlichen Maler fröhlicher Gesellschaften. „Unsere Forschung hat gezeigt, dass die Antikenrezeption für ihn sehr wichtig war“, sagt Lange. Jordaens nutzte viele literarische und künstlerische Quellen, und er gelangte zum Teil zu völlig neuen Deutungen der Antike. Sein Blick auf sie gilt als höchst erdverbunden, lebendig und originell. „In seinen monumentalen bis zu zwölf Quadratmeter großen Gemälden wird sie lebensnah gezeigt“, sagt Lange.
Liebe zum Detail
Am bekanntesten ist wohl die Fabel von Aesop „Der Satyr beim Bauern“, die Jordaens in verschiedenen Fassungen schuf. Sie erzählt vom Menschen, der mit seinem Atem seine kalten Hände wärmt und auf gleiche Weise die heiße Suppe kühlt. Satyr traut dem nicht und flüchtet. Vier Versionen hängen in der Ausstellung. Sie ziehen den Betrachter durch Detailverliebtheit in ihren Bann: pralle nackte Füße, eine schnurrende Katze unter dem Stuhl oder aufgeplusterte Backen. Die Liebe zum Detail gepaart mit einem humorvollen Augenzwinkern verleiht auch anderen Werken, zum Beispiel „Die Erziehung des Jupiter“ oder „Triumphzug des Bacchus“, ihre Strahlkraft.
Für diese große Ausstellung wurden Kunstwerke aus vielen bekannten Museen, beispielsweise dem Prado in Madrid oder dem Statens Museum for Kunst in Kopenhagen, und weniger bekannten Privatsammlungen aus ganz Europa zusammengetragen. Viele haben eine aufwändige Reise zurückgelegt. Sie mussten an ihrem Ursprungsdomizil abgehängt, bewegt, verpackt und mit speziellen Lkws sicher zum Ziel transportiert werden. „Jahrhundertealte Kunstwerke sind empfindlich und dürfen keinen Schaden nehmen. Sie benötigen klimatisierte, bestens ausgepolsterte Verpackungen“, erklärt Anne Harmssen, Leiterin des Arbeitsbereichs Restaurierung der MHK.
Größte Sammlung außerhalb Belgiens
Auch aus Kassel gingen Leihgaben auf Reisen. 13 Werke nennt die MHK ihr Eigen, fünf von ihnen waren in Brüssel zu sehen. „Es ist die größte Sammlung außerhalb Belgiens“, sagt Harmssen. Trotz eher zweitklassiger Reputation bei Kritikern war Jordaens bei adeligen Sammlern beliebt. Auch bei Landgraf Wilhelm VIII von Hessen-Kassel: Er erwarb zehn Werke, fünf von ihnen sind antike Szenen. Die Vorbereitung der Ausstellung hat drei Jahre gedauert. Jordaens Werke wurden mit Lupen, Mikroskopen, UV-, Röntgen- und Infrarot-Strahlen untersucht. Mit Spezialwerkzeugen wurden Risse geschlossen, Kittungen vorgenommen, Retuschen entfernt, Malschichten gefestigt, neue Firnisse aufgetragen oder Leinwände fixiert. „Die Arbeit am ,Triumphzug des Bacchus’ war beispielsweise sehr aufwändig. Sie hat ein Jahr gedauert“, berichtet Harmssen.
Entdeckungen unter dem Farbauftrag
Interessant sind Entdeckungen, die die Restauratoren unter dem sichtbaren Farbauftrag gemacht haben: Mittels Infrarot- und Röntgenuntersuchungen traten nicht nur Schäden, sondern auch Unterzeichungen und Veränderungen an Gemälden zutage – zum Beispiel mehrfach veränderte Kopfhaltungen; Figuren, die in früheren Versionen eines Bildes angelegt und später wieder übermalt wurden; beschnittene Leinwände, um sie möglicherweise in einen anderen Rahmen einzupassen oder wieder zu verwenden. „Man sieht, dass die Gemälde leben, dass Jordaens Schaffen ein Prozess war“, sagt Harmssen. Ein Schaffen, das nun einen späten Ruhm erfährt.
Jacob Jordaens
Jacob Jordaens, ältester Sohn eines Tuchhändlers, ging ab 1607 bei Adam van Noort in die Lehre. Schon 1615, als er seine Ausbildung beendet hatte, wurde er Mitglied der Antwerpener Malergilde St. Lukas, 1621 deren Dekan. Um 1659 wurde er zu den 400 reichsten Bürgern Antwerpens gezählt, unterhielt eine Werkstatt und arbeitete für Adel, Bankiers und Kirche. Nach dem Tod von Rubens und van Dyck erhielt Jordaens alle bedeutenden Aufträge. Zentrale Themen seines Schaffens sind Darstellungen der Fruchtbarkeit sowie von Bacchus und seinem Gefolge – Themen, die barocke Lebensfreude symbolisieren und seine Vorliebe für lebensnahe Figuren zeigen.