Jérôme: Herr Nolda, in Großstädten wird das Wohnen immer teurer. Die Mieten steigen, die Immobilienpreise klettern. Wie ist die Lage in Kassel?
Christof Nolda: In ländlichen Gebieten gibt es Einwohnerrückgänge, in Metropolen immense Zuwächse. Kassel ist in der glücklichen Lage, dass beide Entwicklungen vorhanden sind. Demografisch schwindet die Bevölkerung, durch die Urbanisierung gibt es aber auch Zuzüge. Wenn dieser positive Trend weiter anhält, werden wir ungefähr gleich groß bleiben. Das unterscheidet uns von anderen Städten. Trotzdem gibt es in Kassel deutliche Mietpreissteigerungen, besonders in den vergangenen Jahren. Man muss aber bedenken, dass Kassel lange Zeit ein sehr niedriges Mietniveau hatte und dieses auch die Rentabilität von Immobilien in Frage gestellt hat. Deshalb ist diese Steigerung auch ein Aufholen auf ein gesundes Maß im Sinne einer nachhaltigen Immobilienbewirtschaftung.
Jérôme: Wie steht es um die Immobilienpreise?
Nolda: Es überlagern sich mehrere Dinge: Die Wohnbevölkerung steigt geringfügig. Es gibt immer mehr kleinere Haushalte, das führt in allen Städten zu einem erhöhten Wohnflächenbedarf. Die Mietpreise holen von einem niedrigen Niveau aus auf und das Kapital verschiebt sich aus den Bankanlagen zu den Immobilien. Das trifft in Kassel – in einem eigentlich ruhigen Fahrwasser – zusammen und führt zu einer erheblichen Preissteigerung.
Jérôme: Gibt es genug preiswerten Wohnraum für die steigende Anzahl von Singles, beispielsweise auch Studenten der Uni Kassel?
Nolda: Da besteht Nachholbedarf, der aber noch nicht eindeutig statistisch erhoben ist. Der Bestand aus den 50er und 60er Jahren, der eine wesentliche Größe in Kassel ausmacht, ist von kleineren Wohnungen geprägt, die im Moment auch günstiger sind. Aber das ist kein Dauerzustand. Zurzeit werden viele Häuser mit kleineren Wohnungen gebaut. Der Bedarf wird also erkannt. Man muss jedoch deutlich sagen, dass kleinere Wohnungen im Quadratmeterpreis teurer sind, was wiederum auch zu höheren Mieten führt.
Jérôme: Wie steht es um seniorengerechten Wohnraum, für den aufgrund des demografischen Wandels ein wachsender Bedarf prognostiziert wird? Ist Kassel dafür gerüstet?
Nolda: Da gibt es Nachbesserungen, die im Neubau mit mindestens 80 Prozent barrierearmen Wohnungen deutlich erkannt werden. Sanierungsmaßnahmen, also der wesentliche Bereich, bemühen sich ebenfalls um diese besondere Qualität. Alles, was auf dem Wohnungsmarkt passiert, versucht also, diesem Anspruch gerecht zu werden. Das ist auf einem guten Weg.
Jérôme: Wegen der Eurokrise und niedriger Kreditzinsen setzen immer mehr Anleger auf Immobilien. Haben denn potenzielle Käufer eine Chance, im Kasseler Stadtgebiet fündig zu werden oder ist der Markt schon abgegrast?
Nolda: Die Bauproduktion hat innerhalb der vergangenen zehn Jahre im Durchschnitt 2,6 Promille ausgemacht. Das ist so gut wie nichts. Selbst wenn sie sich im Moment verdreifacht, ist sie immer noch gering. Es gibt wenig Bauproduktion in Neubaugebieten. Die sind in der Entwicklung und städtebaurechtlich kompliziert, weil es sich um die letzten freien Flächen handelt.
Jérôme: Gibt es eine Alternative?
Nolda: Ja, ein anderer Markt ist die Innenentwicklung. Das bedeutet, gering bebaute Grundstücke dichter zu bebauen. Beispielsweise die rückwärtige Bebauung hinter Einfamilienhäusern oder Stadthäusern wie in Brasselsberg oder Wilhelmshöhe, an die natürlich ein hoher städtebaulicher und architektonischer Anspruch zu stellen ist. Es gibt aber auch Lückenschlüsse in Blockrandbebauungen und Konversionsflächen wie die Jägerkaserne und die Samuel-Beckett-Anlage. Für diese Innenentwicklung gibt es relativ viele Flächen und damit Potenzial, das auch städtebauliche Qualität zulässt. Sie hängt auch ein Stück von der Phantasie der Planenden und der Stadtverwaltung ab. Sicher kommen interessante Projekte an städtebaulich wichtigen Orten in nächster Zeit auf uns zu.
Jérôme: In welchem Verhältnis stehen diese beiden Bereiche?
Nolda: Pro Jahr steht 100 neuen Einfamilienhäusern eine Veräußerungsquote von 350 bis 400 vorhandenen Einfamilienhäusern gegenüber. Der Hauptmarkt ist also definitiv der Bestand und damit immer entwicklungsfähig.
Jérôme: Wie präsentiert sich da Kassel im Vergleich mit anderen Städten?
Nolda: Die Bewegung im Bestand ist immer da. Menschen werden älter, sterben oder ziehen aus, Jüngere folgen nach. Parallel steht die Frage: Wie stark ist die Bauaktivität? Während es in Frankfurt oder München zwischen 5.000 und 8.000 neue Wohnungen pro Jahr sind, sind es in Kassel 350. Das lässt sich überhaupt nicht vergleichen. In München wird von großen Neubauprojekten geredet, die in der öffentlichen Wahrnehmung einen erheblichen Stellenwert haben. Prozentual vielleicht nicht, aber in ihrer Wirkung, die Stadt zu verändern. Bei uns dagegen gibt es keine Stadtteile, die eine solche erhebliche Wandlung erleben. Das Baubild ist eher bunt und hat Entwicklungspotenzial. Nämlich so, dass Stadtteile sich nicht vollkommen verändern, sondern stattdessen ergänzt werden. Interessenten haben deshalb im Neubau nicht allzu viel im Angebot, aber im Bestand sehr wohl. Große städtebauliche Entwicklungen sind in Kassel immer Konversionsmaßnahmen. Die Stadt entwickelt sich von innen.
Jérôme: Vielen Dank für das Gespräch!