Der Wert des Gedruckten

Viel wird im Augenblick über die Digitalisierung gesprochen. Das ist gut so. Aber wird Gedrucktes damit überflüssig? Der Versuch einer Bewertung aus der Sicht eines Verlegers.

Der Schatz der Generationen, fein säuberlich eingelagert und seit Jahrzehnten unangetastet. Fotos: Conrad Fischer, Christophe Hamdaoui

Das Unternehmen Bernecker wurde im Januar 1869 vor ziemlich genau 150 Jahren gegründet, von meinem Ur-Urgroßvater August Bernecker. Mit der Idee eine Zeitung für Melsungen herauszugeben, kam er aus Ostpreußen nach Nordhessen.

Schätze im Verborgenen
Welche Bedeutung dieser Verlag für die Region über viele Jahre hatte, wurde mir erst richtig bewusst, als ich im Sommer letzten Jahres das Verlagsarchiv sortiert habe. Allein schon der Zugang zu diesen Schätzen in der Melsunger Innenstadt gestaltet sich abenteuerlich. Erreichbar über verschiedene, verwinkelte, laut knarrende Holztreppen steht man nach einiger Zeit sprachlos vor dem Schatz der Generationen. In einem verstaubten Raum, der nur durch zwei Glühbirnen in uralten Blechlampen spärlich beleuchtet wird, lagern seit Jahrzehnten unangetastet, fein säuberlich gestapelt und handbeschriftet hunderte von Büchern. Gelegentlich wirft das Sonnenlicht durch den Hinterhof einen hellen Schatten in das Halbdunkel. Gefühlt befindet man sich im vorletzten Jahrhundert.

Ruck zuck ist der Inhalt weg
Szenenwechsel. Als Pionier des digitalen Wandels der Verlags- und Druckbranche habe ich mich über viele Jahrzehnte immer an den neusten technischen Geräte erfreut. In letzter Zeit ist auffällig, dass zunehmend Inhalte, die ich gekauft und bezahlt habe, um sie auf dem Tablett zu nutzen, beim System Upgrade nicht mehr zu öffnen sind bzw. schlicht verschwinden. Wie kommt das? Rein technisch ist das schnell erklärt. Die Inhalteanbieter kommen mit den ständigen Veränderungen der Softwarearchitektur nicht mit, bzw. geben schlicht aus ökonomischen Gründen auf. Ende, das war´s. Kein Ersatz, keine Erklärung. Die dafür verantwortlichen Großkonzerne schert das nicht.

Früher hieß es: Was Du geschrieben hast, kannst du getrost nach Hause tragen. Das gilt heute weniger denn je. Mit fast jedem Systemwechsel müssen Sie die Endgeräte, die Ihre Inhalte speichern aufheben oder die Inhalte aufwändig in die neue Umgebung konvertieren. Das gelingt nicht immer.

Das Melsunger Tageblatt von 1869 bis 1970 auf Papier archiviert. Fotos: Conrad Fischer, Christophe Hamdaoui

Alles hat einen Wert
Digital ist flüchtig, analog ist beständig. So kann man es in einem Satz griffig formulieren.

Das gilt nicht nur für das Trägermedium, sondern auch für dessen Gebrauch. Lesen am Bildschirm ermüdet, lesen von Gedrucktem ist oft auch noch nach Stunden eine Freude. Digital konsumieren wir kurze, aktuelle, verderbliche Information. Analog lesen wir wichtiges, lehrreiches, Stoff bei dem wir uns Zeit nehmen und auch gern mal zurückblättern, um den Gesamtzusammenhang besser zu verstehen. Auch der Grad unserer Aufmerksamkeit ist ein anderer. Nie würde man ein Buch lesen, während man gleichzeitig Auto fährt. Die Nutzung des Mobilgeräts am Steuer gehört aber leider und verbotenerweise zum Alltag.

Gedrucktes ist also ein Schatz in vielfältiger Art und Weise. Nicht nur eine Art verstaubter Kultur. Die Wertigkeit ist jedem, der darüber nachdenkt sofort bewußt. Diesen Schatz zu entwickeln, zu pflegen und zu erhalten wird auch für kommende Generationen eine Aufgabe bleiben.

Regional archiviert, weltweit verfügbar
Und was ist aus dem verstaubten Bernecker Verlagsarchiv geworden? Es ist inzwischen sortiert, bibliographiert, und alle im zweiten Weltkrieg in Kassel verbrannten Titel sind der Universitätsbibliothek Kassel vermacht. Ja, und natürlich, die wichtigsten Titel sind digitalisiert. Auch das Verzeichnis ist digital und im Internet einsehbar.

Analog oder digital ist also kein Entweder oder, sondern ein sowohl aus auch. Der Verlag Bernecker hat seine Blüte im letzten Jahrhundert erlebt.

Die Zeitung wurde schon Anfang der 70er Jahre verkauft, auch im Buchgeschäft ist ein kleiner Verlag heute nicht mehr wirtschaftlich zu führen. Schon seit den 80er Jahren konzentriert man sich in Melsungen auf die Herausgabe regionaler, bzw. Titel mit spezifischen Inhalt. Das Unternehmen Bernecker als Druckerei hat seinen Schwerpunkt auf die Herstellung von Packungsbeilagen und Bedienungsanleitungen verlagert. Der Wert des Gedruckten? Hier ist er erlebbar. Weder Strom noch ein Online-Zugang ist nötig, um in Ruhe und konzentriert zu lesen.

Verleger Conrad Fischer. Fotos: Conrad Fischer, Christophe HamdaouiConrad Fischer ist Drucker, Verleger und Inhaber des Bernecker Verlags in Melsungen. Zur Jahrtausendwende war er einer der Pioniere und Treiber der Digitalisierung seiner Branche. Fischer ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

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