21 Jahre und zwei Porsche

Nordhessens Kunst-Chronist Paul Schmaling

Ich war ja nicht untalentiert, konnte gut malen und zeichnen“, berichtet Paul Schmaling, Autor des voluminösen, mittlerweile bis ins Jahr 2010 erweiterten Nachschlagewerkes »Künstlerlexikon Hessen-Kassel 1777–2000«. Dennoch wählte der gebürtige Kasseläner, dessen Eltern bis 1943 in der Innenstadt eine Bäckerei betrieben hatten, beruflich einen anderen Weg, wurde weder Künstler noch Bäcker, sondern zunächst Bauhandwerker, bevor er „im Eiltempo, und nicht eine Stunde länger“ Architektur studierte, in der gerade fertiggestellten Ingenieurschule in der Wilhelmshöher Allee, wo er 1958 sein Examen ablegte. „Während des Studiums war ich so knapp bei Kasse, dass jede neu erworbene Fähigkeit sofort genutzt werden musste“, erinnert sich Schmaling. „Also habe ich alle sich bietenden Chancen ergriffen, immer auch als Bauhandwerker, technischer Zeichner, Plakatgestalter, Restaurator, Zirkusbauer oder Kolorierer gearbeitet. Hauptsache, es gab Geld.“ Geld gab es auch in den sich anschließenden 35 Berufsjahren im Wohnungs-, Kirchen- und Industriebau, doch den tieferen Daseins-Sinn, seine höchstpersönliche Antriebsfeder, fand er schon als junger Ingenieur mit Vehemenz in der Kunst – wie auch, im Besonderen, bei deren Erfassung, Verortung und Katalogisierung.

Selbst gesucht statt Suchmaschine

Im Besitz des langjährigen Kunstsammlers: Das 1909 entstandene und ein Stück verlorenes Kassel zeigende Ölgemälde »Auetor« des deutsch-russischen Malers Nicolai von Astudin (1847–1925). Foto: Markus Frohme

Im Besitz des langjährigen Kunstsammlers: Das 1909 entstandene und ein Stück verlorenes Kassel zeigende Ölgemälde »Auetor« des deutsch-russischen Malers Nicolai von Astudin (1847–1925). Foto: Markus Frohme

„Neben meiner Arbeit habe ich ja stets Tausende von Kunstspaziergängen gemacht“, sagt Paul Schmaling. Ob nun im Kasseler Kunstverein – dessen Kataloge er ab Gründung 1835 komplett besitzt, abzüglich der Kriegsverluste von 1847–1890 – bei Antikmärkten, in Museen, Antiquariaten oder auf Reisen: „Immer habe ich alles durchgekämmt und die Augen aufgehalten, um Künstler herauszufiltern, bei denen es einen Bezug zu Nordhessen gibt.“ So wuchs zum einen beständig seine Sammlung an Kasseler Ausstellungskatalogen, zum anderen sammelten sich – „nicht zuletzt durch das Plaudern mit Antiquitäten- und Kunstsammlern wie auch Galeristen“ – immer mehr Informationen, die sinnvoll genutzt werden wollten. Schmaling: „Alle diese Daten habe ich dann in gefühlten Millionen von Karteikarten eingetragen, mir dazu Kunst- und Staatsadressbücher besorgt, die selbst die hiesigen Bibliotheken noch nicht kannten, und rund 20 Jahre lang das Stadtarchiv durchforstet, mit großer Unterstützung durch dessen damaligen Leiter Frank-Roland Klaube.“ Sein ursprünglicher Plan, daraus ein Nachschlagewerk von 1777 – dem Gründungsjahr der Kasseler Kunstakademie – bis zum Jahr 1977 zu machen, erwies sich schnell als unrealistisch, „denn ich muss ja immer schaffen…“ Der erste Schritt zur tatsächlichen Umsetzung als Buch

erfolgte daher erst 1993, mit Beginn von Schmalings zumindest beruflichem Ruhestand. „Mein Junior hat mir anderntags seinen Computer vermacht, mich ein bisschen trainiert und dann habe ich drei Jahre lang meine Daten eingegeben – bis ich endlich einen Rohling hatte, den ich wissenschaftlich bearbeiten konnte.“

Mehr geleistet als ein Großsponsor

Im Jahr 2000, mittlerweile hatte Paul Schmaling die Lebens- und Ausstellungsgeschichte von rund 3.000 Künstlern aufgearbeitet und die Länge des daraus verfassten Manuskriptes betrug knapp anderthalb Meter, zog er einen vorläufigen Schlussstrich: Er ließ sein in Jahrzehnten gereiftes Buch endlich drucken. 2001 erschienen, gibt es darauf noch immer große Resonanz, und das nicht nur in Deutschland. „Letztes Jahr hat mich ein 77-jähriger Architekt aus Chicago angerufen, von dessen Vater die Graphische Sammlung viele Arbeiten hat. Der sagte zu mir: Es stimmt alles, was Sie über ihn geschrieben haben – und dazu steht da noch einiges, das nicht mal ich selbst wusste!“ Längst überregionaler Kunstexperte, konnte Schmaling so auch dem ehemaligen HNA-Verleger Rainer Dierichs helfen, bei der Zuordnung geerbter Gemälde, die bis dahin in dessen Keller lagerten. „Ich dachte mir gleich: Das sind amerikanische Landschaften, Mississippi-Landschaften. Und nach einem Blick auf die Signatur – »J. Seyler« – war alles klar: Ein deutscher Maler, der mal eine Professur in München hatte und dann für zehn Jahre in die USA gegangen ist, als Farmer und Indianer-Maler. Der Dierichs hat nicht schlecht gestaunt …“ Überraschendes birgt auch Schmalings Lexikon, in dem sich unter anderem Prof. Dr. Bernd Küster, Direktor der Museumslandschaft Hessel Kassel, wiederfindet: „In seiner Marburger Zeit war der doch Maler und hat zudem in der Volkshochschule Grafik- und Malereikurse gegeben“, weiß Schmaling, der mit seinem unvergleichlichen Werk – „Es hat mich 21 Jahre und bestimmt zwei Porsche gekostet“ – einen Beitrag zur hessischen Kulturgeschichte geleistet hat, den wohl selbst ein Großsponsor nicht hätte bewerkstelligen können. Unermüdlich, arbeitet Paul Schmaling derzeit bereits an Band 3 seines Lexikons: „Der geht dann von 2011 bis 2019. Über 150 Künstler habe ich dafür schon auf meiner Liste …“

Paul Schmaling: Künstlerlexikon Hessen-Kassel 1777–2000, mit den Malerkolonien Willingshausen und Kleinsassen, Kassel 2001, ca. 3.000 Künstler, ISBN 3–934377–96–3, Großformat, 801 Seiten, 148 €; Ergänzungsband 2001–2010, Kassel 2011, ca. 530 Künstler, ISBN 978–3–934377–43–1, Großformat, 281 Seiten, 58 €

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