Ein trojanisches Pferd?

Trotz massiver Kritik: »Obelisk« der documenta 14 verbleibt in Kassel
Seit Monaten sorgt er in Kassel für erregte Diskussionen: der zur documenta 14 auf dem Königsplatz errichtete Betonklotz des US-nigerianischen Künstlers Olu Oguibe, von einigen interpretiert als »Denkmal für die deutsche Flüchtlingshilfe«. Nach schier endlosem Hin und Her mit dem Künstler über Ankauf und Aufstellungsort wurde sein Ausstellungsbeitrag am 3. Oktober fristgerecht abgebaut. Nun kam es doch noch zum Ankauf und er soll wieder aufgestellt werden, in der Kasseler Treppenstraße. Ob dies ein Gewinn für die Stadt ist, bleibt umstritten. Insbesondere, seit fragwürdige Details über die kaum als demokratiefreundlich zu interpretierenden Positionen Oguibes kursieren. Wurde hier ein »trojanisches Pferd« erworben?

Beton des Anstoßes: Der sogenannte »Obelisk«, wie er vom Frühjahr 2017 bis zum 3. Oktober 2018 auf dem Königsplatz stand. Foto: Asvolas/shutterstock.com, REVector/shutterstock.com

Klare Positionen hinsichtlich Olu Oguibes 16 Meter hohen Beton-Werkes, das auf seinen vier Seiten in Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch aus dem Matthäus-Evangelium zitiert – „Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt“ – und, zumindest laut Oguibe, „extra für den Königsplatz entworfen wurde“, bezieht etwa Kassels profundester documenta-Experte Dr. Harald Kimpel, langjähriger Mitarbeiter des Kasseler Kulturamtes, von 1995 bis 2005 Vorstandsvorsitzender des documenta forums und Autor einschlägiger Klassiker wie »documenta – Die Überschau« (DuMont 2002), indem er unter anderem darauf hinweist, dass es sich dabei eigentlich nur um eine Notlösung des Künstlers handelt: „Weitgehend übersehen wurden die Form- und Standortwandlungen des ebenso populären wie unerwünschten Monuments, also die Evolution des Konzepts von der schlichten verbalen Botschaft zum monumentalen Symbol“, so Harald Kimpel. „Ursprünglich geplant als rein textbasierte, immaterielle Installation auf einer durchsichtigen Folie zwischen den Säulen des Bahnhofs Wilhelmshöhe, mutierte erst nach Ablehnung durch die Bahn die Idee auf dem Königsplatz zum überdimensionierten Großobjekt“, wie der Kunstwissenschaftler verdeutlicht. „Über einige bescheidenere Zwischenschritte nahm der Plan sukzessiv die massive Form eines sogenannten Obelisken an und wurde zum Beton des Anstoßes. Was als Denkmal versagt hat, konnte als Unterhaltungsinstrument reüssieren. Dabei ist die von den Befürwortern stets als ein Hauptargument strapazierte Ortsspezifik auf der Strecke geblieben.“

Keine Ästhetik, kein Maß, keine Anmut
Was das Werk nun zum »sogenannten Obelisken« macht, erläutert Prof. Berthold Penkhues, ausgebildet in Kassel, heute Entwurf lehrend im Fachbereich Architektur der TU Braunschweig, unter anderem ausgezeichnet mit der Simon-Louis-du-Ry Plakette für das Museum Korbach und dem Hessischen Kulturpreis: „Wann ist ein Obelisk ein Obelisk? Am besten nach Paris fahren und sich einen »echten« Obelisken anschauen. Dort steht der Obelisk aus Luxor stolz an jener Stelle, wo einst Ludwig XVI. seinen Kopf verlor. Sein Zwillingsbruder steht jedoch immer noch vor dem Pylon am Eingang der Tempelanlage von Luxor – Werke von atemberaubender Bildhauerkunst! Und was ist der »Obelisk« von Herrn Olu Oguibe? Ästhetik, Maß und Anmutung sucht man vergeblich. Bestenfalls ein postmodernes Trauerspiel mit viel Pathos, aber ohne Ironie in eigener Sache. Dieser Hohlspitz, der mit einiger Gewissheit zum Sanierungsfall werden wird, ist ein ideales Fressen für die »populistische Genuss-Szene«: Es ist so schön, sich hinter der Heiligen Schrift zu verstecken. Narrativ und Fiktion geben sich hier die Hand.“ Auch die Neuplatzierung von Oguibes Werk auf der Treppenstraße kritisiert Prof. Penkhues scharf: „Was für ein »Nostalgie-Historismus«! Die Treppenstraße ist ein noch erkennbares Überbleibsel der gigantomanischen Achsenplanungen von 1944 für eine neue Gau-Hauptstadt. Die »ausgewiesenen Mitgestalter der Diktatur« hätten sicherlich ihre größte Freude daran, dass diese a-historische Achse nun mit einem documenta-Kunstwerk geadelt wird.“ Doch ist in Kassel hinsichtlich solcher Sensibilitäten überhaupt mit Kompetenz zu rechnen? Dr. Harald Kimpel, der auch die drei Bände »Kunst im öffentlichen Raum« des Kasseler Kulturamtes konzeptionierte, verweist auf entsprechende Erfahrungen: „In Kassel scheint es keinerlei ästhetische oder planerische Kriterien für den Umgang mit Kunst im öffentlichen Stadtraum zu geben. Gültig allein ist das finanzielle Argument: Ist Geld da, wird etwas gemacht, fehlt es, wird es gelassen.“

Verständnis für Terroristen
Schwerer noch gegen den Verbleib des »Obelisken« in Kassel wiegt jedoch, für welche »christlichen Werte« sein sich offiziell als Atheist bezeichnender, vermeintlich so menschenfreundlicher Schöpfer offenbar wirklich steht: Als am 7. Januar 2015 islamistische Terroristen bei einem Überfall auf das satirische Magazin CHARLIE HEBDO elf Menschen ermordeten – als Vergeltung für die Islam-kritischen Karikaturen des Magazins – zeigte Olu Oguibe ganz öffentlich nicht einmal den Anflug von Empathie. Während weltweit Millionen für die Verteidigung der Meinungsfreiheit aufstanden und ihr Mitgefühl und ihre Trauer zum Ausdruck brachten, etwa im sozialen Netzwerk FACEBOOK mit dem Banner »Ich bin Charlie«, prangte bei Oguibe dort bereits am nächsten Tag demonstrativ das Banner »Nein, ich bin nicht Charlie« – blutrot durchstrichen – / Hassrede ist keine Freie Rede / Islamophobie ist Hass«, begleitet von Ausführungen über einen „Rassismus, der sich als religiöse Satire maskiert“, gipfelnd in der Anmerkung: „Nun, wir wissen, das hat seinen Preis«. Doch damit nicht genug: So zeigt er etwa in seinen Facebook-Kommentaren auch größtes Verständnis für die Terrorgruppe Hamas, die nahezu täglich Israel angreift und die Mörder jüdischer Zivilisten reich belohnt. Hat sich hier ein zutiefst undemokratischer Geist in die Herzen zahlreicher Kasseler geschlichen, gleich einem »trojanischen Pferd«, getarnt als Inbegriff christlicher Nächstenliebe? Lässt sich das politische Denken eines Künstlers wirklich von seinem Werk trennen? Und was würde Arnold Bode wohl dazu gesagt haben, einem solchen Mann nicht nur einen seinen Namen tragenden Preis zu verleihen, sondern einem von dessen per Irrfahrt entstandenen Werke auch noch einen prominenten Standort in Kassel zuzuweisen, alles im Namen der documenta?

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