Essstörungen – Familie und Partner leiden mit

Dr. Lisette Morris behandelt in der Schön Klinik Bad Arolsen Magersucht und Bulimie

Frau Dr. Morris, was sind Zeichen, die auf eine Essstörung hindeuten?

Dr. Lisette Morris: Familie und Freunden fallen mit der Zeit deutliche Veränderungen bei den Essgewohnheiten auf. Bei Magersucht essen Betroffene seltener und deutlich weniger. „Dickmachende“ Speisen werden ganz gemieden. Deshalb verlieren diese Menschen deutlich an Gewicht. Bei einer Bulimie werden Essanfälle meist verheimlicht. Typisch sind Toilettengänge während oder nach den Mahlzeiten, um sich zu erbrechen. Auch eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und Gewicht sowie ein gesteigertes Sportverhalten können Hinweise sein.

Weihnachten steht vor der Tür. Warum sind Feiertage oder Familienfeste für Menschen mit Essstörungen so problematisch?

In einer Klinik können sich Patienten ganz auf ihre Therapie und Genesung konzentrieren. Foto: Schön Klinik

In einer Klinik können sich Patienten ganz auf ihre Therapie und Genesung konzentrieren. Foto: Schön Klinik

Dr. Morris: Essen gehört zu unserem Alltag. Für betroffene Menschen bedeutet das aber eine tägliche Konfrontation mit ihrer Krankheit. Feste und Feiern erleben sie als mehrfache Herausforderung. Die Mahlzeiten sind oft größer, es gibt die Erwartung, dass alle glücklich sind und sich vertragen. Und das Umfeld erwartet, dass der erkrankte Mensch wieder „funktioniert“. All dies macht Feiertage zur Belastungsprobe.

Warum kann jemand nicht einfach wieder normal essen?

Dr. Morris: Eingeschliffenes Verhalten zu ändern, ist in der Regel nie einfach. Menschen mit Essstörungen fällt es schwer, ihre Gewohnheiten zu ändern. Ihr Körper hat sich bereits an das Essverhalten gewöhnt und auch psychische Hürden spielen eine Rolle. Betroffene haben häufig große Ängste: Nehme ich unkontrolliert zu, wenn ich wieder anfange zu essen oder aufhöre zu erbrechen? Darüber hinaus erfüllt die Essstörung häufig eine wichtige Funktion. Sie soll negative Gefühle abmildern und das Selbstwertgefühl stabilisieren. Deshalb kann ein Aufenthalt in einer Klinik hier eine wichtige Unterstützung sein.

Wo setzt die Therapie an?

Dr. Morris: Ziel der Behandlung ist es, dass Betroffene wieder lernen, normal zu essen und, falls notwendig, auch an Gewicht zunehmen. Es ist auch äußerst wichtig, über individuelle Ursachen wie ein niedriges Selbstwertgefühl zu sprechen, um dann entsprechende Maßnahmen in die Behandlung zu integrieren.

Ein guter Freund trainiert stundenlang im Fitnessstudio und wird immer hagerer. Die Kollegin lehnt jede Einladung in die Kantine ab und magert zusehends ab. Sollte ich das ansprechen?

Dr. Morris: Ja, aber sehr vorsichtig und behutsam. Sprechen Sie dem Betroffenen gegenüber Ihre Sorge aus und beschreiben Sie das Verhalten, das Ihnen Anlass zu Sorge gibt. Sie können auf Informationsmaterial und Beratungsstellen hinweisen oder Ihre Hilfe bei der Suche nach geeigneten Therapeuten anbieten. Wichtig ist es jedoch, den Betroffenen nicht zu bedrängen.

Was empfinden Freunde, Partner oder Familie, wenn jemand erkrankt ist?

Dr. Morris: Angehörige leiden häufig intensiv mit. Sie machen sich Sorgen und bemühen sich um den Erkrankten, fühlen sich aber oft hilflos. Daher kann es für sie sinnvoll sein, sich Hilfe zu holen – gerade dann, wenn die betroffene Person selber noch nicht so weit ist. Eines sollten Angehörige immer wissen: So sehr sich das Umfeld um einen Menschen bemüht, die Entscheidung, Hilfe anzunehmen, eine Therapie zu beginnen und das Essverhalten zu ändern, liegt beim Betroffenen selbst.

Welche Perspektiven gibt es, langfristig gesund zu werden?

Dr. Morris: Betroffene Menschen und ihr Umfeld erleben, dass es Fort- und Rückschritte gibt und es wichtig ist, eine Therapie auch zu Hause, also ambulant, fortzusetzen. Der Weg aus der Essstörung ist ein längerer Prozess – aber ehemalige Patienten sagen im Rückblick: Es lohnt sich, zu kämpfen!

Die Schön Klinik Bad Arolsen kurz dargestellt
Die Schön Klinik Bad Arolsen ist eines der führenden psychosomatischen Fachkrankenhäuser und ist seit Eröffnung im April 2008 Bestandteil des Krankenhausplanes des Landes Hessen. Die Klinik deckt das gesamte Spektrum der Psychosomatik ab. Die Behandlungsschwerpunkte umfassen Depressionen, Dekompensierter Tinnitus und Hyperakusis, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom im Erwachsenenalter (ADHS), Burn-out-Syndrom, Essstörungen sowie weitere Indikationen (z.B. Angst-, und Zwangsstörungen, Schwindelerkrankungen). Das Behandlungskonzept orientiert sich an integrativ-verhaltensmedizinischen Grundlagen.

Kontakt
Schön Klinik Bad Arolsen
Tel.: (05691) 6238–3333
www.schoen-kliniken.de/bar

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