Kulturstandort Kassel

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Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in den Fokus der Wirtschaftspolitik gerückt. Mit ihren Teilmärkten Musik, Kunsthandwerk und Design, Kunst, Werbung und Public Relations, Rundfunk, Film und Fernsehen, darstellende und unterhaltungsbezogene Kunst, kulturelles Erbe sowie Software und Games beschäftigt sie in Hessen Hessen rund 135000 Menschen. Fast 40000 Unternehmen und eine steigende Zahl von Selbstständigen erwirtschafteten 2008 rund 24 Milliarden Euro. Über die Eigenheiten und Perspektiven dieser Branche sprach Jérôme mit dem Hessischen Wirtschaftsminister Dieter Posch.

Jérôme: Das Hessische Wirtschaftsministerium widmet dem Thema „Kultur- und Kreativwirtschaft“ besondere Aufmerksamkeit – warum?
Dieter Posch: Wir halten Kultur- und Kreativwirtschaft für ein wirkliches Zukunftsfeld, denn es handelt sich um eine Querschnittsbranche mit großem Wachstumspotenzial. Sie ist zu einem Innovationstreiber für viele andere Branchen geworden. Ein spannendes Kulturangebot, ein kreatives Geschäftsumfeld gelten inzwischen als wichtiger Standortfaktor für Städte und Regionen – für Unternehmen, die sich niederlassen wollen, ebenso wie für Fachkräfte, die sich einen neuen Arbeitgeber suchen. Und der Tourismus profitiert ebenfalls erheblich.

Jérôme:
Gilt das nur für das Rhein-Main-Gebiet oder auch für eine Region wie Nordhessen?
Posch: Kultur- und Kreativwirtschaft ist keine alleinige Domäne der Ballungsräume. Sicherlich spielen die Kreativbranchen in Rhein-Main eine größere Rolle als in Nordhessen, und zwar absolut wie in Relation zu anderen Branchen. In ihrer Funktion als Wirtschaftsbereich sind sie eher ein Großstadtthema, oder besser gesagt ein Thema von Standorten, die über Hochschulen mit Kreativausbildungsgängen verfügen. Und dies gilt für die Großstadt Kassel mit der Hochschule und der Werkakademie für Gestaltung als renommierten Ausbildungsstätten ebenso, wie für das dicht besiedelte Rhein-Main-Gebiet mit den Hochschulstandorten Frankfurt, Offenbach, Darmstadt und Wiesbaden. Die Universitätsstädte Gießen und Marburg belegen die mittelhessische Ausprägung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Denken Sie auch an den sehr bedeutenden Kulturtourismus in Kassel. Die Hessische Landesregierung investiert in die Museumslandschaft Kassel zweistellige Millionenbeträge und unterstützt natürlich auch die documenta und das Staatstheater.

Jérôme: Manche behaupten, in Kassel sei nur alle vier Jahre, nämlich während einer documenta, kulturell etwas los. Teilen Sie diese Ansicht?
Posch: Auf keinen Fall! Kassel hat sich als Kulturstandort in den letzten Jahren sehr stark entwickelt. Die Stadt hat die Kulturhauptstadtbewerbung sehr klug genutzt, um die dafür notwendige Bündelung aller Engagierten und das breite öffentliche Interesse auch langfristig zu nutzen. Ob es die Wiederentdeckung von Louis Spohr als einem Sohn der Stadt, die Kasseler Musiktage, die Museumslandschaft Kassel oder die vielfältigen Angebote der quicklebendigen Freien Kulturszene rund um den alten Hauptbahnhof einschließlich des Kulturbahnhofs mit Caricatura Museum geht – Kassel bietet als nordhessische Metropole Jahr für Jahr und ganzjährig eine enorme Palette für jeden Geschmack. Apropos Szene am Hauptbahnhof: Ich möchte an dieser Stelle einmal ausdrücklich die Kasseler Verwaltung loben, in der die Ämter für Stadtentwicklung, Kultur und Wirtschaftsförderung bei der Unterstützung der Belange der Kultur- und Kreativwirtschaft so gut an einem Strang ziehen. Das ist vorbildlich! Was die documenta selbst angeht – ich vertrete mein Ressort im Aufsichtsrat – so sind über die Jahre auch dort qualitativ sehr hochwertige Programmpunkte für die Zeit zwischen zwei Ausstellungen entwickelt worden.

Jérôme: Als Melsunger sind Sie ein guter Kenner von Nordhessen. Gibt es Spezifika der nordhessischen Kultur- und Kreativwirtschaft?
Posch: Was mich an der Kasseler Kulturszene besonders anspricht, ist das herausragende Engagement der vielen Privaten. Hier ist das Kulturzentrum Schlachthof sicherlich ein gewachsener Nukleus und zeigt, dass eine derartig auf den Stadtteil fokussierte Kulturarbeit wesentlich zur Vitalisierung eines Quartiers beitragen kann. Darüber hinaus engagieren sich beeindruckend viele andere Kasseler, und dies sind nicht nur die Bildungsbürger. Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Stadt eine große Toleranz und Durchlässigkeit gibt zwischen der Hochkultur und der freien Kulturszene. Das ist ideal, denn von der größeren Experimentierfreudigkeit der jungen Kreativen, dem „F&E-Labor“ sozusagen, profitieren auch etablierte Unternehmen und Einrichtungen. Projekte wie die Nachrichtenmeisterei, die Lolita-Bar, ARM und die Hammerschmiede zeugen von großem Einfallsreichtum und Vitalität. Insbesondere Projekte im Übergangsbereich zwischen kommerziell und ehrenamtlich sind produktiv und wirken als Impulsgeber.

Jérôme: Warum und in welcher Art unterstützt das Land Hessen die Kultur- und Kreativwirtschaft?
Posch: Unsere Förderung ist vielfältig. Wir sprachen gerade von Projekten der experimentellen Raumnutzung. Unsere Städtebauförderung zum Beispiel unterstützt derartige Vorhaben, auch als Zwischennutzung. Eine Workshopreihe mit der Schaderstiftung und sechs hessischen Kommunen, darunter auch Kassel, gab den Städten nach deren Einschätzung wirksame Impulse. Mit Mitteln der EU förderten wir zwei Studien zur Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Stadt und der Region Kassel, die die Bedeutung kreativer Milieus für die Stadtentwicklung insgesamt nachweisen.

Unsere Darlehen, Bürgschaften und Beteiligungen stehen auch Kreativunternehmen offen. Das erste von meinem Haus geförderte Kulturcoaching als Beratung und Ideenscreening für Kreativgründer und -projekte fand übrigens im Kasseler Kulturzentrum Schlachthof statt. Für das CCC in Kassel konnten wir Anschubfinanzierung bereitstellen.

Information und Vernetzung sind in einer so heterogenen Branche besonders wichtig. Wir haben deshalb für die Kultur- und Kreativwirtschaft eine neue Homepage eingerichtet, die aktuell über Fördermöglichkeiten, Projekte und Aktuelles informiert. In Branchengesprächen suchen wir den direkten Dialog mit den Unternehmen und Selbstständigen, so im Mai 2010 im Rahmen des von uns unterstützten ADC Festivals als wichtigstem Branchentreff der deutschsprachigen Werbedesigner. Die Berichterstattung zur Kultur- und Kreativwirtschaft setzen wir fort.

Aktuell prüfen wir den Bedarf für Mikrokredite in Zusammenarbeit mit den hessischen Kommunen. Die Bedeutung von Kreativität für jede Art von Innovation zu kommunizieren, ist enorm wichtig. Deshalb habe ich mich sehr über die Möglichkeit zum Gespräch mit Jérôme gefreut.

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