Oh wie schön: das Eozän

Und das ist unsere ,Blaue Mauritius‘“, berichtet Dr. Cornelia Kurz, als wir vor einer Vitrine mit dem teuersten Stück der noch bis zum 27. November im Kasseler Naturkundemuseum gezeigten Ausstellung ,Messel on Tour‘ stehen; Versicherungswert allein dieser einen Platte: 2,5 Millionen Euro. Und was gibt es darauf Bemerkenswertes zu sehen, was war dieses Skelett zu Lebzeiten? „Ein Ameisenbär – wenn es denn einer ist“, so die Kustodin für Geologie und Paläontologie, für die das Thema Messel – ein Fossilienfundort bei Darmstadt, der seit 1995 zum UNESCO-Welterbe zählt – quasi einem Heimspiel gleichkommt, da sie an ihren vorherigen Wirkungsstätten viele Jahre mit dessen Bearbeitung und Präsentation befasst war. Der Ameisenbär – wenn es denn einer ist – wäre, erläutert Dr. Kurz, nämlich nicht nur der einzige Vertreter seiner Spezies, der je außerhalb von Südamerika entdeckt wurde, sondern mit seinen 47 Millionen Jahren, als Kind des Erdzeitalters Eozän – des Zeitalters der „Morgenröte der Säugetiere“ –  zugleich doppelt so alt wie das älteste fossil belegte Exemplar des gesamten südamerikanischen Kontinents. „Es liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen, dass es sich hier wirklich um eine europäische Parallelentwicklung handelt“, führt die Diplom-Geologin aus. „Zur weiteren Untersuchung war die Platte deshalb erst kürzlich in einer Mikro-Röntgenanlage; die von vielen bereits mit Spannung erwarteten Ergebnisse werden voraussichtlich im November vorliegen.“

Inmitten der mit 13 Millionen Euro Versicherungssumme bislang teuersten Sonderausstellung im Naturkundemuseum Kassel: Messel-ExpertAin und Kustodin für Geologie und Paläontologie Dr. Cornelia Kurz und Museumsdirektor Dr. Kai Füldner. Foto: Mario Zgoll

Hessen einst tropisch warm
Zu den 125 Original-Messel-Fundstücken, die auf ihrer Tournee durch die großen Naturkundemuseen dieser Welt, zuletzt ausgestellt in Oslo, Leiden, Basel, Münster und Stuttgart, nun in Kassel Station machen, gehört jedoch nicht nur der Ameisenbär – wenn es denn einer ist – sondern auch ein absolut zweifelsfrei als solches identifiziertes Krokodil: Diplocynodon darwini, das sogenannte Doppelhundszahn-Krokodil, wurde bereits 1875 als erstes Fossil in der Grube Messel entdeckt, „und damit war eigentlich schon klar, dass es sich bei diesem Fundort um etwas ganz Besonderes handeln musste, denn Krokodile sind nicht zuletzt Klimaanzeiger“, erklärt die Erdgeschichtsexpertin. Während sich heute wohl keine Panzerechse mehr freiwillig ausgerechnet in Darmstadt ansiedeln würde, lag Hessen, wie man inzwischen weiß, zum damaligen Zeitpunkt auf einem Breitengrad zwischen dem heutigen Sizilien und Südspanien, und das Diplocynodon konnte sich dort, im besonders warmen Eozän, sogar tropisch-subtropischer Temperaturen erfreuen. Im Bereich der heutigen Grube Messel, den fossilen Überresten eines im Durchmesser einst zirka 1,5 Kilometer großen und 200 Meter tiefen, von Regenwald umgebenen Sees vulkanischen Ursprungs, fand es den idealen Entfaltungsraum für ein sattes und zufriedenes Leben vor, nach dessen unvermeidlichem Ende es schließlich im Faulschlamm versank und in dem sich daraus später bildenden Ölschiefer bzw. Tongestein prächtig erhalten blieb.

Gekommen um zu bleiben
Der ungewöhnlich gute Zustand der hier bislang entdeckten Fossilien ist indes auch einer speziellen Bakterienart geschuldet: Als einzige Organismen konnten diese im Faulschlamm zunächst überleben, stoffwechselbedingt verkapselten sie sich jedoch nach dem Verzehr der Tier- und Pflanzenweichteile und blieben an Ort und Stelle liegen – als „Bakterienrasen“ sind ihre Nahrungsquellen daher oft noch mit allen Details und Umrissen zu erkennen, bis hin zu einzelnen Haaren und Gefieder. „Das ist eben das Wunderbare, das man an Messel hat“, schwärmt Cornelia Kurz. „Während man in den meisten anderen Fundstellen nur isolierte Knochen und Zähne findet, kann man hier einfach viel, viel mehr über die gesamte Biologie und Ökologie dieses mit Funden ansonsten ohnehin eher schwach belegten Zeitfensters sagen.“ Als Beispiel dafür führt sie die in Messel vorgefundene älteste Fledermaus-Fauna der Welt an, von der bislang elf verschiedene Arten – darunter im Jahr 2000 die „Millenniums-Fledermaus“ – entdeckt wurden, „von den kleinen, wendigen, die im Unterholz zuhause waren, bis hin zu denen, die über die Baumwipfel fegten.“

Fast zur Müllkippe geworden
Auf knapp 70 Meter Tiefe ist der einstige Vulkansee bislang abgetragen worden, in erster Linie von 1859 bis 1971 beim Tagebau. Ungezählte Fossilien wurden dabei vernichtet, anschließend sollte das gesamte Gelände sogar in eine Mülldeponie umgewandelt werden, bis es schließlich 1991, nach knapp 20-jährigem Rechtsstreit, vom Land Hessen gekauft und zum Boden- und Kulturdenkmal erklärt wurde. So geschützt, können dort nun auch künftig weitere sensationelle Entdeckungen gemacht werden, in Ergänzung der bislang über 50.000 wissenschaftlich registrierten Einzelfunde, zu denen sowohl terriergroße Ur-Pferdchen zählen wie auch imposante Riesenameisen. Und natürlich jener, möglicherweise speziell an diesen interessierte Ameisenbär – wenn es denn einer ist.

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