Anmut in Armut

documenta 15 auf dem Friedrichsplatz

documenta 15 auf dem Friedrichsplatz. Fotos: © Jan Hendrik Neumann

Wie kaum eine Ausstellung dieser Reihe vor ihr, hat die 15. documenta ihr Publikum stark polarisiert: Enthusiastische Begeisterung auf der einen Seite, schroffe Ablehnung auf der anderen. Erstmals von einem Kollektiv eher unbekannter Künstler geleitet, war es eine Schau, die sich über weite Strecken dem sich progressiv dünkenden Zeitgeist und dessen aktuellen, insbesondere Randgruppen bevorzugenden Werten verschrieben hatte. Als Leitmotiv stand damit erneut nichts Geringeres als die Rettung der Welt auf dem Programm – ökologisch, moralisch, spirituell, selbstverständlich achtsam nachhaltig angelegt und gelegentlich auch durchaus anrührend verbunden mit grellen Schlaglichtern auf die vermeintlichen Verderber der Menschheit und ihre bedauernswerten Opfer.

Jeder ist ein Künstler
Von eher untergeordneter Bedeutung blieb dabei jedoch der eigentliche Anlass der Ausstellung: die Kunst. Nur mehr Mittel zum Zweck, auf Appelation aus statt auf Ästhetik, war sie in ihrer von kreativen Fertigkeiten weitgehend bereinigten Form so niedrigschwellig angelegt, dass sich nach Erklärung suchende Exkurse in die Kunstgeschichte zumeist zur Gänze erübrigten. Denn das plakativ Gezeigte wollte durchaus eher selten mehr sein als das eben plakativ Gezeigte. Von daher war es nur konsequent, dass zur Unterstützung dieser Linie an allen Ausstellungsstandorten Begleithefte in leichter Sprache auslagen, sicher zur nicht gelinden Freude der möglicherweise in die Hunderttausende gehenden Besucher mit praktisch-bildbarem Hintergrund, mit denen man offenbar bevorzugt gerechnet hatte.

Mit Genuss zelebrieren
Doch nicht nur mit ihnen: Dem Reiz des Exotismus huldigend, war die documenta 15 vor allem ein Mekka für die Freunde fremder Völker und Kulturen, dabei filigran inkludierend den ob seiner Anmut in Armut zumindest moralisch stets triumphierenden edlen Wilden. Wobei dieser, nicht nur in der Not die wohlige Wärme der verschworenen Gemeinschaft suchend, es offenbar auch geschickt versteht, durch den sich keiner Improvisation verschließenden Einsatz tradierter Ritualkultur sein Leben mit Genuss zu zelebrieren. Und ist auch die Zahl etwa indonesischer Nobelpreisträger eher übersichtlich, so ist doch der ihr von Natur aus innewohnende Froh- und Gemeinsinn die weitaus größere Auszeichnung für dieses schöne Land – wenn man den Ausstellungsmachern glauben darf. Und so war es nur folgerichtig, dass einer von diesen schon gleich zu Beginn der Schau selbige unter das Motto stellte: Make friends, not art – Mach‘ dir Freunde, keine Kunst.

Teilen, drucken, mailen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert