Vandana Shiva: Die Durchdenkerin

Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ 2012

Gelegentlich muss man eben einfach mal in größeren Dimensionen denken – diesen „Takt des Tages“ gab zur Eröffnung der 22. Verleihung des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“ im Opernhaus des Kasseler Staatstheaters bereits dessen Intendant Thomas Bockelmann vor, als er in Bezug auf Festredner und Laudator Prof. Dr. Klaus Töpfer vorgab, er habe erst „neulich“ einen Vortrag von diesem gehört, „bei einem Neujahrsempfang“. Eile mit Weile, o Theater, wonniger Ort des Glücks, losgelöst aus Raum und Zeit, möchte man da meinen, zumal Prof. Dr. Hansjörg Melchior, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Kasseler Bürgerpreises, diesen Eindruck im folgenden Verlauf der Veranstaltung noch mit einer weiteren freudigen Nachricht verstärkte: Vorjahres-Preisträger Royston Maldoom werde seinem Versprechen, im Staatstheater Kassel eine Inszenierung mit Kindern durchzuführen, im nächsten Jahr tatsächlich nachgekommen. Im Mai und Juni 2013 gebe es vier Aufführungen, mit fünf Schulen und etwa 150 mitwirkenden Kindern. Der aktuellen „Das Glas der Vernunft“-Preisträgerin Vandana Shiva seinen Respekt erweisend, berichtete Prof. Melchior überdies von einem „Blitzbesuch“, den er eine Woche zuvor gemeinsam mit dieser dem Ottoneum abgestattet habe, am letzten Tag der dOCUMENTA (13), wo es bereits zu einem begeisterten Empfang von Frau Shiva durch eine „dTour“-Gruppe gekommen sei. Deren Mitglieder hätten sie sogleich erkannt „und es wurde reichlich fotografiert!“

Preisübergabe: documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld, Bürgerpreis-Vorsitzender Hansjörg Melchior, Preisträgerin  Vandana Shiva, Oberbürgermeister Betram Hilgen und  Ehrenredner Klaus Töpfer, ehemaliger Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (v.l.) Foto: Mario Zgoll

Preisübergabe: documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld, Bürgerpreis-Vorsitzender Hansjörg Melchior, Preisträgerin Vandana Shiva, Oberbürgermeister Betram Hilgen und Ehrenredner Klaus Töpfer, ehemaliger Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (v.l.) Foto: Mario Zgoll

Die dOCUMENTA (13) mitgeprägt
Die Auszeichnung „Das Glas der Vernunft“ werde Vandana Shiva verliehen, wie es in der von Melchior mitgetragenen offiziellen Begründung zur Preisverleihung heißt, „weil die international anerkannte Wissenschaftlerin und Menschenrechtlerin mit kreativen Alternativen, mit Vernunft und Engagement zur Erhaltung der Lebensgrundlagen der Menschheit beiträgt.“ Dazu betonte Oberbürgermeister Bertram Hilgen in seinem ungewöhnlich emotionalen Grußwort, die Jury des Preises „Das Glas der Vernunft“ habe sich mit ihrem Votum für die Physikerin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises „nicht nur für eine hoch reputierte Wissenschaftlerin, eine globale Aktivistin und Weltbürgerin entschieden, sondern auch für eine Persönlichkeit, der, obwohl in einem von uns geographisch sehr weit entfernten Teil der Welt – in Indien – zuhause, unsere Stadt nicht unbekannt ist, und die mit Kassel bereits in verschiedenen Zusammenhängen in Verbindung und Austausch stand.“ Hilgen weiter: „Und bereits während der Entstehungs- und Konzeptionsphase zur dOCUMENTA (13) standen Sie, verehrte Frau Professor Shiva, mit der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev in fruchtbaren Austausch, und ich denke, die Vermutung ist begründet, dass Sie damit die ökologische Sichtweise der dOCUMENTA (13) durch wichtige Impulse mitgeprägt haben.“ Die Preisträgerin sei, so der oberste Repräsentant Kassels weiter, „Saatgut-Aktivistin und weltweit eine der führenden Stimmen gegen die Globalisierung. Sie kämpft mit unglaublicher Energie für Veränderungen innerhalb der gegenwärtigen Entwicklungen und Paradigmen von Biodiversität, Landwirtschaft, Nahrung, Biotechnologie, geistigem Eigentum, Bioethik und Gentechnik“, womit dann auch schon fast alles Wesentliche kompetent und griffig zusammengefasst war.

Überzeugende Demokratin
„Wir sind stolz, in Hessen so engagierte Bürger zu haben“, richtete sich daraufhin im Namen der Hessischen Landesregierung deren Staatsministerin für Kunst und Wissenschaft, Eva Kühne-Hörmann, an die Initiatoren des Kasseler Bürgerpreises, bevor Prof. Dr. Klaus Töpfer, von 1987 bis 1994 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, von 1994 bis 1998 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, das Wort ergriff: „Sich auf eine Laudatio für Vandana Shiva einzulassen, ist schon ein Unterfangen, das man sich sehr genau überlegen sollte. Aber wenn man mal ja gesagt hat – und wer kann dem Werben von Herrn Melchior widerstehen …“, setzte er an, um bereits schnell zum Kern dessen vorzustoßen, gegen das er die Preisträgerin an vorderster Front sieht: „Das, was wir tun, hat immer weiterreichendere Auswirkungen auf Raum und Zeit, und die Zeit, die wir uns nehmen, darüber zu entscheiden, wird immer kürzer. Wir stehen unter der Tyrannei der Kurzfristigkeit“, so Töpfer, der in seinen Ausführungen vehement für die Freiheit zum Entscheiden warb, gipfelnd in dem Appell: „Wo immer jemand daherkommt und sagt: Das ist alternativlos – gehen Sie hin und machen Sie das Gegenteil!“ Töpfer über Vandana Shiva: „Das ist so jemand, der sich nicht mit dem Alternativlosen abgibt. Und das ist nicht nur eine Vordenkerin, sondern sogar ein Durchdenkerin. Und nicht nur das: Sie ist sogar eine, die handelt.“ Die Trägerin des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“ sei für ihn daher „eine der überzeugendsten Demokratinnen, die wir haben.“

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