Mit eigenem Blick

Wieder-wiedereröffnet: die Neue Galerie, neu geleitet von Dr. Dorothee Gerkens

Auf zwei von 1.001 „Ai Weiwei-Stühlen“: Dr. Dorothee Gerkens im Gespräch mit Jérôme-Autor Jan Hendrik Neumann. Foto: Mario Zgoll

Mit launigen Worten läutete Prof. Dr. Bernd Küster, seit 2009 Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel (mhk), im Januar die sogenannte „Wieder-Wiedereröffnung“ der Neuen Galerie ein: „Die Documenta 13 hatte das Glück, ein nicht nur frisch saniertes, sondern auch erstmals klimatisiertes Gebäude für 100 Tage bespielen zu dürfen“, so Küster in Anwesenheit seiner Mentorin, der hessischen Kunst- und Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU). „Auch wenn ein Wort des Dankes der documenta-Leiterin bisher noch aussteht“, wie der falscher Bescheidenheit eher abholde mhk-Chef bekannt gab, „so können wir angesichts der Zahl von immerhin 400.000 Besuchern von einem überaus sensationellen Erfolg sprechen.“ Dieser gelte zumal der hauseigenen Präsentation der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts: „Etwa Zweidrittel der documenta-Besucher wollten auch diesen Teil der Neuen Galerie sehen – bis auf Brad Pitt.“

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Großes Lob vom Flaggschiff
Dass ebenso in Zukunft mit starkem bis stärkstem öffentlichen Interesse für das Ausstellungsgeschehen in der Neuen Galerie zu rechnen ist, lag seit April 2012 theoretisch und liegt seit Januar 2013 nun ganz konkret in den Händen der neuen Museumsleiterin Dr. Dorothee Gerkens (36). In der Ausübung dieses „schönen, schweren Amtes“, wie Küster ausführte, sei es ab sofort allein ihr vorbehalten, „all den Erwartungen, die an das Haus und seine kostbare Sammlung gestellt sind, gerecht zu werden und dieses so traditionsreiche Gebäude, als einem zentralen Bestandteil der Museumslandschaft Hessen Kassel, in dem anspruchsvollen Konzert bundesdeutscher Kunstmuseen deutlich vernehmbar werden zu lassen.“ Eine Bürde, bei der indes davon auszugehen ist, dass sie von ihrer grazilen Trägerin behände gestemmt wird. Denn mit Dorothee Gerkens betritt eine Kapazität die Leitungsebene der Kasseler Kunstmuseen, der es nicht zuletzt vorbehalten war, selbst das Flaggschiff des deutschen Feuilletons – jenes der F.A.Z. – mit ihrer 2009 im Reimer Verlag veröffentlichten Promotionsarbeit „Elfenbilder – Traum, Rausch und das Unbewusste: Die Erkundung des menschlichen Geistes in der Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts“ (gebunden, 49 Euro) zu wahren Begeisterungsstürmen hinzureißen.

Offen und zugleich reflektiert
„Jede Generation von Kunsthistorikern muss sich die Frage stellen, ob sie weiterschreiben will, was bereits vor ihr formuliert wurde, oder ob sie einen neuen Blick auf die Vergangenheit wirft, andere Umbrüche, Epochen oder Höhepunkte sieht“, beginnt die euphorische Rezension. Abseits der kunstgeschichtlichen Trampelpfade eigene Wege, alternative Betrachtungsweisen auszuloten, sei überaus schwierig. „Nicht übersehen hat diese jedoch zum Glück die Kunsthistorikerin Dorothee Gerkens“, so F.A.Z.-Kunstressort-Leiterin Julia Voss in ihrer opulenten Würdigung des Werkes. „Mein Professor nannte das einen ,Ritterschlag‘“, erinnert sich die Neue Galerie-Leiterin lächelnd. Den eigenen Blick zu bewahren, an neue Themen stets offen und zugleich reflektiert heranzugehen, bezeichnet Gerkens als ihre Maxime, deren Feinschliff sicherlich während ihres Studiums der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Philosophie in Marburg, Wien und Berlin erfolgte, währenddessen sie auch Erfahrungen in Galerien und im Kunsthandel sammelte, etwa in den Sotheby-Dependancen in Wien, Berlin und London. Dort schrieb sie im Anschluss daran ebenfalls ihre Doktorarbeit, unterstützt durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD).

Praxiserprobt: Vor Antritt ihres neuen Amtes in Kassel sammelte Dorothee Gerkens bereits Erfahrungen bei Sotheby’s in Wien, Berlin und London, in der Kunsthalle Hamburg und im Kunstmuseum Basel. Foto: Mario Zgoll

Durch die Hintertür ins Herz
Anhand ihrer weiteren bisherigen Veröffentlichungen lässt sich erahnen, wohin die Reise mit der neuen Neue Galerie-Leiterin, die auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstmuseum Basel wirkte, gehen könnte: So war sie unter anderem beteiligt an den Katalogen „Edgar Degas. Intimität und Pose“ und „Felix Valloton. Idylle am Abgrund“ der Hamburger Kunsthalle – mit herausgegeben von Hubertus Gassner, von 1981 bis 1991 Professor für Kunstgeschichte an der Kasseler Kunsthochschule und von 1989 bis 1992 Leiter des Kasseler documenta Archivs – sowie an „Arena des Spotts: Englische Karikaturen 1780–1830“. Die Überzeichnung, als aufklärerische Technik, liegt Dr. Dorothee Gerkens dabei besonders am Herzen: „Mit ironischen Mitteln zu arbeiten ist sicher eine eher subtilere Form der Kommunikation, um bestimmte Dinge aufzuzeigen, aber dafür eine umso schlagkräftigere – in Gestalt der ,eingebauten Hintertür‘, die den Betrachter noch mehr emotionalisiert.“ Daher zählt auch die derzeit – und noch bis zum Herbst – in der Neuen Galerie im Rahmen einer Präsentation von documenta-Ankäufen ausgestellte Documenta 13-Arbeit „Scratching on Things I Could Disavow“ des libanesischen Künstlers Walid Raad zu ihren Favoriten. Wie dieser tradierte Sehgewohnheiten zu überwinden, neue Verbindungslinien aufzuzeigen, unverhoffte Dialoge und Querbezüge zu ermöglichen, letztlich: erhellende Momente zu schaffen, das steht auch ganz oben auf ihrer Agenda: „Denn unser Haus soll leben, in Bewegung bleiben. Wir werden daher immer wieder neue Werke zeigen, neue Sichtweisen ermöglichen.“

Mehr zur Neuen Galerie unter http://schoene-aussichten.posterous.com

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