Wie die meisten Melsunger bin auch ich in Kassel geboren. Viele Jahre meines Lebens, das gebe ich gern zu, konnte auch ich mich nicht dem allgemeinen „Gemähre“ über unser Oberzentrum entziehen: nichts los, öde Innenstadt, kein Flair, „muffelige Sturköppe“. In der Tat hatten Kassel und die nordhessische Region lange unter der deutschen Teilung zu leiden. Eine Stadt, deren wirtschaftlicher Kern zerstört ist, leidet und mit ihr das Selbstwertgefühl der Bevölkerung. Ein Knotenpunkt ohne Verbindung zum Osten ist ein Torso.
Seit der Wende hat sich aber fast alles zum Besseren gewendet. Nicht zuletzt sogar die Stimmung und die Einstellung der Menschen zu ihrer Heimat. Dazu haben viele kleine Faktoren beigetragen. Der wesentlichste ist aus meiner Sicht: der wirtschaftliche Erfolg der letzten 20 Jahre. Mit dem Wachstum der Wirtschaft sind viele Menschen aus anderen Regionen Deutschlands zu uns gekommen. Und die, für mich immer wieder erstaunlich, sehen uns und unsere Region viel positiver als wir selbst. Das färbt ab. Das hilft die eigene Einstellung zu überprüfen, das öffnet den Blick für die vielen Vorteile, die wir hier in Nordhessen haben: saubere Luft, viel Grün, bodenständige, unaufgeregt fleißige Menschen, Platz für Wachstum, kurze Wege und gute Vernetzung. Auch wenn das Kirchturmdenken der Umlandgemeinden noch nicht ganz überwunden ist, die Region ist zusammengewachsen. Mit der Regiotram von Melsungen in die Stadt oder umgekehrt aufs Land, ist ein erlebbares Zeichen für den Wandel.
Ein positives Gemeinschaftgefühl, gepaart mit Bescheidenheit, kaum noch Nestbeschmutzung; wenn das kein sympathischer Fortschritt im Selbstempfinden der nordhessischen Seele ist. Die vielen positiven Bekenntnisse zu Kassel in der Jérôme-Jubiläums-Ausgabe beweisen, wir achten uns wieder. Das ist die beste Basis für weitere gute Jahre in Kassel und der gesamten Region.
Aber auch bei guter Grundlage, die Arbeit bleibt anspruchsvoll. Zurecht ist lange über den Sinn und Zweck des Flughafens in Calden diskutiert worden. Jetzt ist er da. Hämisch über fehlende Fluggäste zu schreiben, ist bösartig. Was wir brauchen ist der Schulterschluss bezüglich dieser Infrastrukturmaßnahme, die ja vergleichsweise günstig war. Der Logistikstandort Nordhessen wird profitieren, wenn wir gemeinsam dafür sorgen, unseren Flughafen mit Leben zu füllen. Positive Kommunikation ist dabei der erste Schritt.
Sie werden in Jérôme auch in den kommenden Jahren spannende Reportagen aus und über Nordhessen finden. Bleiben Sie optimistisch!
Mit den besten Wünschen zum Jahreswechsel grüßt Sie herzlich
Ihr
Conrad Fischer
Herausgeber Jérôme