Unverzeihlich geradlinig

24. Verleihung des Kasseler Bürgerpreises »Das Glas der Vernunft«

Die aktuellen, dem Geist der Aufklärung widerstrebenden politischen Veränderungen in Ungarn – seit 2004 Mitglied der Europäischen Union – standen Pate bei der Wahl für den diesjährig an den ungarischen Dissidenten und Bürgerrechtler Ferenc Köszeg vergebenen Kasseler Bürgerpreis »Das Glas der Vernunft«. „Er war und ist ein absolutes Vorbild für viele meiner Generation“, erklärte Laudator Adam Fischer, selbst gebürtiger Ungar und zahlreichen Preisverleihungsgästen noch bekannt aus seiner Zeit von 1987 bis 1992 als Generalmusikdirektor am Kasseler Staatstheater. Nicht zuletzt als Reminiszenz auf diese Zeit hatte er zu Beginn der Veranstaltung das Kammerorchester Louis Spohr dirigiert bei dessen Vortrag zweier Werke von Joseph Haydn und Bela Bartok. Mit Blick auf den Preisträger sagte der mittlerweile an der New Yorker Met wirkende Dirigent, dass nach 1970 viele Köszegs Kampf gegen den »real existierenden Sozialismus« bewundert hätten, jedoch nur wenige den Mut aufbrachten, den privaten Kontakt zu dem Bürgerrechtler zu suchen. Fischer: „Auch ich habe ihn erst nach der Wende kennengelernt. Ich bin dann in das von ihm gegründete ungarische Helsinki-Komitee eingetreten.“ Dort habe er erlebt, wie sich Ferenc Köszeg prompt bei ehemaligen Dissidenten unbeliebt gemacht habe, „weil er gegen Rechtsverletzungen der neuen Machthaber, die oft aus früheren Dissidenten-Kreisen kamen, genauso vehement protestierte wie er das gegen die Rechtsbrüche der alten Machthaber getan hatte. Er ist immer seinen Idealen und Prinzipien treu geblieben“.

Verkehrsfeindliche Aktivitäten

Seinen Idealen und Prinzipien stets treu geblieben: Menschen- und Bürgerrechtler Ferenc Köszeg mit dem »Glas der Vernunft«. Foto: Mario Zgoll

Seinen Idealen und Prinzipien stets treu geblieben: Menschen- und Bürgerrechtler Ferenc Köszeg mit dem »Glas der Vernunft«. Foto: Mario Zgoll

Der 1939 geborene Köszeg habe, so Adam Fischer, insbesondere in den 70er Jahren „ständig die Verlogenheit des auch im Westen bewunderten »Gulasch-Kommunismus« angeprangert und wollte die »kreative« Auslegung des Rechts im Ostblock nicht als lässliche Sünde akzeptieren“. In dieser Zeit der »Diktatur light«, wie es Fischer formulierte, seien Regimekritiker für ihre Aktionen nicht mehr eingesperrt worden. „Sie wurden jedoch weiterhin von den Behörden schikaniert und polizeilich verfolgt, statt »staatsfeindlicher oder aufrührerischer Aktivitäten« warf man ihnen nun »Verkehrsgefährdung« oder »unmoralisches Verhalten« vor.“ Dissidenten hätten so zwar nicht mehr ihre persönliche Freiheit, wohl aber die berufliche Karriere und oft genug auch ihr Privatleben riskiert. „Diese Methode der Herrschenden hatte allerdings fast mehr Erfolg als der offene Terror vorangegangener Jahrzehnte, denn sehr viele haben daraufhin ihre kleinen Kompromisse mit dem Regime geschlossen. Köszeg nicht.“ Auch das habe ihn immer unbequemer werden lassen. „Es war seine Geradlinigkeit und Ehrlichkeit von damals, die ihm viele bis heute nicht verzeihen können.“ Köszegs Credo, das konsequente und kompromisslose Eintreten für Recht und Freiheit, sei zugleich das entscheidende Prinzip für Bürgerrechtler. Fischer: „Denn deren Aufgabe ist nicht in erster Linie, ein Opfer vor Willkür sondern den Rechtsstaat selbst zu schützen. Menschen- und Bürgerrechte sind nicht teilbar, so oft wir dieses Prinzip auch vergessen.“

Vielfältige Solidarität

Staatstheater-Intendant Thomas Bockelmann, Prof. Dr. Hansjörg Melchior, Vorstand der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Kasseler Bürgerpreises »Das Glas der Vernunft«, Preisträger Ferenc Köszeg und Festredner Erhard Buseck. Foto: Mario Zgoll

Staatstheater-Intendant Thomas Bockelmann, Prof. Dr. Hansjörg Melchior, Vorstand der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Kasseler Bürgerpreises »Das Glas der Vernunft«, Preisträger Ferenc Köszeg und Festredner Erhard Buseck. Foto: Mario Zgoll

Angesichts der derzeitigen Verhältnisse in Ungarn, wo man es erleben müsse, „dass Bürgerrechtler von den Behörden wieder als Staatsfeinde behandelt werden und die politische Führung unabhängige Organisationen, die sie nicht direkt kontrollieren kann, als vom Ausland finanzierte Agenten bezeichnet“, sei die Verleihung des Kasseler Bürgerpreises an Ferenc Köszeg ein wichtiges Signal, wie Adam Fischer betonte, „denn es ist von großer Bedeutung, dass die Menschen hier und im Ausland auf die Gefährdung der Freiheit aufmerksam gemacht werden“. Mit Blick auf den Zusammenbruch des Ostblocks 1989/1991 führte der Festredner und ehemalige österreichische Außenminister Erhard Busek aus, „dass die eigentlichen Tapferen dieser Veränderungen Menschen wie Ferenc Köszeg gewesen sind, die wie dieser an die Menschenrechte und an die Demokratie geglaubt und sich mit viel Mühe und Arbeit dafür eingesetzt haben“. Aber auch der Festredner selbst habe dazu seinen Beitrag geleistet, wie sich Preisträger Ferenc Köszeg daraufhin erinnerte: „In seiner damaligen Position als Vizebürgermeister von Wien hat Erhard Busek 1986 eine Vervielfältigungsmaschine nach Budapest geschmuggelt, in seinem Dienstwagen – das war eine sehr riskante Aktion und hätte leicht zu einem diplomatischen Skandal führen können.“ Zur gegenwärtigen Lage in Ungarn sagte Köszeg: „Die Regierung Orban wurde von den ungarischen Wählern gewählt und sie soll auch von den ungarischen Wählern wieder abgelöst werden. Was man von der restlichen Welt derweil erwartet, ist ein kritisches Aufpassen und die aktive Solidarität mit denen, die die Werte der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bewahren möchten.“

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