75 Jahre Albert „Ali“ Schindehütte
Ehre, wem Ehre gebührt: Zu seinem 75. Geburtstag feiert die Region mit Albert „Ali“ Schindehütte, berühmt als phantasievoller Zeichner, Radierer, Holzschneider und Lithograph, einen ihrer herausragendsten Künstler, und dies in mehr als opulenter Form. Nicht nur, dass das regionale Gourmet-Magazin EssensArt dem in Breitenbach aufgewachsenen Jubilar in seiner aktuellen Ausgabe gleich 29 Seiten widmet: Darüber hinaus wird ihm auch noch der einmalige Vorzug zuteil, bis zum 11. Januar 2015 parallel in gleich zwei Kasseler Museen, dem Brüder Grimm-Museum und der Neuen Galerie, mit jeweils umfangreichen Werkschauen präsentiert zu werden. Diese reichen von den ersten zarten Anfängen vor 55 Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart. Als besonderer Glücksfall darf gewertet werden, dass bei der Ausstellungseröffnung sogar noch seine beiden frühesten Entdecker und Förderer zugegen waren: Karl Oskar Blase (89), der ihn in seiner damaligen Funktion als Dozent der Werkkunstschule Kassel künstlerisch betreute und dem damals erst 19-Jährigen in seiner Zimmergalerie „Archiv“, gelegen in der Friedrich-Ebert-Straße 77, bereits im April 1959 eine erste Ausstellung seiner frühen Werke ermöglichte, und Alfred Nemeczek (81), der, als damaliger Feuilleton-Redakteur des HNA-Vorgängerblattes Hessische Nachrichten, sowohl auf eben diese Ausstellung aufmerksam wurde und sie seinen Lesern zum Besuch empfahl, wie auch für die ersten Zeitungs-Aufträge des jungen Künstlers sorgte, in Gestalt von Illustrationen zu dort erscheinenden Kurzgeschichten.
Spritztechnik mit Zahnbürste
„Formal verblüffte der Debütant mit ungeahnter Vielseitigkeit“, führte Alfred Nemeczek dazu aus in seiner Ansprache zur in der Neuen Galerie positionierten Schindehütte-Frühwerkschau »Mehret die Anfänge«; der Titel: ein seinem Ausstellungsbericht von 1959 entnommenes Zitat. “Mittels Feder, Pinsel, Kugelschreiber, aber auch mittels Künstlers runden Fingerkuppen brachte er idyllische, traumatische, absurde oder groteske Situationen in Tusche oder Tinte stets originell aufs Papier – sofern der um sein Repertoire besorgte Autor nicht noch lieber Monotypien oder Linolschnitte herstellte, Fremdschnipsel eincollagierte oder sogar eine ,Spritztechnik mit Zahnbürste’ erprobte.“ Zudem sei Schindehütte der geborene Erzähler gewesen: „Konsequent kultivierte er in seinen Illustrationen das Narrative, Anekdotische, Ironische, Skurrile und Surreale, wo immer ein Text es hergab.“ Die gesonderte Präsentation seines im Wesentlichen aus Zeichnungen, Holz- und Linolschnitten, Illustrationen, Collagen und Plakaten bestehenden, die Jahre 1957 bis 1963 umfassenden Frühwerks, nebst Fotos und weiteren zeitgenössischen Dokumenten, kommentierte der Künstler selbst mit den durchaus weisen Worten: „Diese Anfänge, in dieser homogenen Welt von Kassel, waren ja meine erste abgeschlossene Arbeitsphase. Und dass die Arbeiten dieser Zeit für mich aufbewahrenswert sind, liegt gewiss auch an meinem fortgeschrittenen Alter. Denn nicht erst seit heute, aber jetzt ganz besonders, kann ich ja diese Person, die ich mit 19 war, so objektiv betrachten als wäre es jemand anderes.“
Das Märchenhafte an sich
In seiner Einführung in Albert Schindehüttes zweite, im Palais Bellevue gezeigte Werkschau »Des Raben Wunderhorn«, mit ausgewählten, ab 1985 entstandenen Zeichnungen, Radierungen und Holzschnitten, inspiriert durch die Brüder Grimm und weitere Romantiker, betonte Prof. Dr. Bernd Küster, als langjähriger Weggefährte Schindehüttes: „Kein Künstler hat in ihrer 200-jährigen Geschichte den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm eine solche künstlerische Aufmerksamkeit gewidmet wie Albert Schindehütte, was umso erstaunlicher ist, als er nicht im eigentlichen Sinne als Illustrator bezeichnet werden darf. Sein Thema ist nämlich nicht das einzelne Märchen, sondern es ist das Märchenhafte an sich: der Zauber der Verwandlung, die Verschmelzung von Natur und Seele, und natürlich auch die historische Herkunft dieser mittlerweile weltberühmten Erzählstoffe.“ In seiner persönlichen Würdigung des Künstlers sagte Prof. Küster: „Er gehört zu den Souveränen und Unermüdlichen seiner Generation, ohne deren phantasievolle und satirische Leistungen die Nachkriegsjahrzehnte und die Nachwendejahre nicht wirklich gut zu überstehen gewesen wären.“ Küster weiter: „Mit seinen nunmehr 75 Jahren ist Albert Schindehütte einer der großen Kreativen geblieben und es werden ihm, da bin ich sicher, noch einige zeichnerische und graphische Coups gelingen.“ Albert Schindehütte hat diese bereits in Planung: „Holzschnitte darf man ja nicht frei machen, die müssen konstruktivistisch angelegt sein. Deshalb will ich jetzt wieder große Linolschnitte machen, so frei wie ich zeichne!“
Zu »Mehret die Anfänge« ist im Verlag Boxan ein umfangreicher Katalog erschienen, ebenfalls druckfrisch sind die beiden Fotobände „Gesammelte Werke aus Kassel Stadt und Land“ und „Die Övelgönn’schen Bilder“.