Weniger ist mehr – Atelierbesuche: Die machtvolle Intensität des Karl von Grafenstein

Kunst entsteht durch reine Imagination, von Seiten des Machers wie auch des Betrachters. Daher gilt: Je mehr vorher festgelegt ist, umso weniger kann wirklich durchkommen“, sagt Karl von Grafenstein, der sich von Anbeginn seines künstlerischen Schaffens ganz bewusst, mit nur wenigen Ausnahmen, der Abstraktion verschrieben hat. „Ein nicht vordefiniertes Bild gibt viel mehr Dimensionen frei. Denn ein Porträt bleibt immer nur ein Porträt, die Mona Lisa immer nur die Mona Lisa.“ Doch das ist dem ambitionierten Maler, der Freie Grafik und Visuelle Kommunikation in Kassel, München und Barcelona studierte – unter anderem bei dem in der Neuen Galerie Kassels vertretenen Münchener Professor Günter Fruhtrunk – schlicht zu wenig. „Konkretes ist nach meinem Verständnis viel zu einfach darzustellen. Da muss mehr drin sein. Mehr als allein das, was das Auge auf den ersten Blick sieht“, so von Grafenstein, der bei seinem künstlerischen Ideal durchaus Analogien zur Homöopathie der Anthroposophen sieht: „Verstärkung durch Wegnehmen, durch Reduktion.“

„Weit mehr als was das Auge auf den ersten Blick sieht“: Knapp ein Vierteljahrhundert lang entstanden die fast ausschließlich abstrakten Werke Karl von Grafensteins – viele davon mittlerweile im Zentrum des Interieurs seiner Sammler von Zürich bis New York – im zweigeschossigen Atelier des Künstlers, einer prominenten Anlaufadresse des Kasseler „Salzmann“-Gebäudes. Foto: Jan Hendrik Neumann

„Weit mehr als was das Auge auf den ersten Blick sieht“: Knapp ein Vierteljahrhundert lang entstanden die fast ausschließlich abstrakten Werke Karl von Grafensteins – viele davon mittlerweile im Zentrum des Interieurs seiner Sammler von Zürich bis New York – im zweigeschossigen Atelier des Künstlers, einer prominenten Anlaufadresse des Kasseler „Salzmann“-Gebäudes. Foto: Jan Hendrik Neumann

Der blaue Himmel Andalusiens
Gelebte Intensität – sie bestimmt von Grafensteins Leben, ist eines der zentralen Leitmotive des bekennenden Grateful Dead- und Tolkien-Freundes, der seinem „Herrn der Ringe“ auch nach Jahrzehnten der wiederholten Lektüre immer wieder neue, inspirierende Momente abgewinnen kann. Als nachhaltig prägend für die künstlerische Orientierung des in Bayern aufgewachsenen Künstlers, der sein Atelier fast ein Vierteljahrhundert im Kasseler „Salzmann“-Gebäude hatte, erwies sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ein längerer Studienaufenthalt in Andalusien: „Der blaue Himmel, der Duft, die Klarheit der Gedanken …“  Seither hat Karl von Grafenstein die Welt ausgiebig bereist und seine Eindrücke – vom Grand Canyon über Südamerika, Afrika, die Karibik wie auch Nord- und Osteuropa – in zahlreichen Werkserien umgesetzt, häufig mittels Tiefdruck: „Dazu wird das Büttenpapier gewässert, leicht getrocknet und mit hohem Druck durch die Presse geschickt. Als Farb- bzw. Formträger dienen Zink-, Stahl- oder Kupferplatten, die vorher mit Stichel, Säure, Flex, Hammer und Meißel etc. bearbeitet werden.“ Eine der Spezialtechniken des Künstlers ist das Verwenden von Gips, aus dem dann die Druckstöcke gemacht werden. Von Grafenstein: „Dabei ersetzt der Gips die Metallplatten. Solche Druckstöcke können natürlich nur einmal verwendet werden, da der Gips unter dem hohen Druck zerbirst. Die Strukturen, die auf diese Art erzeugt werden können, sind jedoch von einer unendlichen Vielfalt, daher nähert sich meine Arbeitsweise dabei sehr der Malerei.“

Kein Schwarzmaler
Eine Malerei, deren Motive Karl von Grafenstein häufig in der Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Macht“ findet, ob nun mit ihren offensichtlichen Insignien wie Krone und Schwert, der Reibung von Landesgrenzen oder den Ausdrucksformen von Finanzmacht. „Legt man etwa alle bislang veröffentlichten DAX-Listen übereinander“, sagt von Grafenstein listig, „entsteht ein schwarzes Bild.“ Ein Schwarzmaler ist er deshalb dennoch nicht geworden, wovon nicht zuletzt seine bisherigen Ausstellungen, u.a. in Paris, Danzig, Warschau, New York, München, Zürich und Frankfurt, Zeugnis geben, und das ohne festen Galeristen. „Meine Sammler finden mich“, weiß von Grafenstein, der über seine Bilder sagt, diese seien nicht zuletzt immer ein Versuch, die Zweidimensionalität zu verlassen. „Das geht über Perspektive – oder eben über Struktur.“ Und Struktur, Erhabenes, sich dabei auch immer über tradierte Sehgewohnheiten Erhebendes, wohnt den Werken Karl von Grafensteins immer inne.

www.vongrafenstein.de

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