2006 wurde sie offiziell geschlossen, im da-rauffolgenden Jahr für Roger M. Buergels documenta 12 noch einmal kräftig durch den Farbtopf gezogen und 2008 schließlich endgültig geräumt: Kassels Neue Galerie, 1871 bis 1877 erbaut nach Plänen des Architekten und zugleich Professors an der Kunst-akademie Kassel Heinrich von Dehn-Rotfelser, im Zweiten Weltkrieg 1943 schwer beschädigt und erst 1976 wieder eröffnet, musste sich erneut einer gründlichen Sanierung stellen. Das Ergebnis ist beeindruckend, wie neben Hessens Kunstministerin Eva Kühne-Hörmann – „Freundlicher, offener, weiter, heller!“ – auch Prof. Dr. Bernd Küster, Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel (mhk), bei der Vor-Eröffnung des zu diesem Zeitpunkt noch leeren Gebäudes am 11. September 2011 befand: „Alle, die mit dem Haus vertraut waren, werden Schwierigkeiten haben, es wiederzuerkennen“, und zugleich merkte er an: „Dies ist ein glückhafter Moment, weil wir am heutigen Abend die einzige Gelegenheit haben, die Architektur in ihrer Reinheit zu sehen – wir können ein Museum begehen, ohne über Kunst zu sprechen.“
Struktur und Atmosphäre reloaded
Unter musikalischer Begleitung durch Sabine Nobis, Solo-Oboistin des Staatstheaters Kassel, die Ovids „Metamorphosen“ in der Vertonung von Benjamin Britten vortrug, schlug nun die Stunde für das Hessische Baumanagement (hbm) und die Architekten des Berliner Büros von Volker Staab. „Es ist ein wenig teurer geworden“, hieß es etwa vonseiten des hbm, gekoppelt an eine kleine Denksportaufgabe: „Ohne die exakten Zahlen nennen zu müssen: Sie haben jetzt für 3.118,61 Euro pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche in der Summe 40.000 Kubikmeter Raum erneuert bekommen, sodass die Bürgerinnen und Bürger Kassels auf 3.521 Quadratmetern eine 1a-Ausstellungsfläche erhalten.“ Die Projektleitung merkte an, man habe als Operationsgrundlage nur die Sequenzen der vorhandenen Räume genommen, „denn wir hatten es ja nicht mit einem Altbau zu tun, in dem es zum Beispiel historische Oberflächen gab oder Dinge, die man tatsächlich so hätte wiederherstellen können. Was uns letztendlich zur Verfügung stand, war nur die Struktur und Atmosphäre des Gebäudes: Auf der einen Seite die Kabinetträume, dann die großen Oberlichtsäle in der Mitte des Obergeschosses, und natürlich die Wandelhallen, mit ihrer wunderbaren Aussicht. Diese wesentlichen Themen waren der Aufhänger für unseren Architekten.“
Als entscheidender Eingriff sei daher zunächst die Erschließungssituation verändert worden, mit der Rückverlegung der Haupttreppe – zuvor direkt zu einem Oberlichtsaal führend – in die jetzt von einem großen Luftraum dominierte Eingangshalle, „mit der wir einen neuen, mehr oder weniger fließenden Raum geschaffen haben, der auch von seiner ganzen architektonischen Denkart ganz anders konzipiert ist als die historischen Räume, aber trotzdem eine Einheit mit diesen ergibt.“ Das neu installierte Oberlicht basiere auf dem ausgeklügelten Zusammenspiel von Prismengläsern in der Außenhaut, Klimaverglasung und einer diffusen Ebene zur Lichtstreuung. „Die Idee dabei ist, dass das gesamte Haus – bis auf die zentralen Räume im Erdgeschoss – komplett mit Tageslicht funktioniert.“ An ökologischem Wert hätten die Räumlichkeiten des Museums auch gewonnen, denn aufgrund unerwarteter Verhältnisse – „Die Wände waren zum Teil so schief, dass man sie bis zu 14 Zentimeter aufputzen musste“ – seien im gesamten Gebäude geradezu unglaubliche 700 Tonnen Putz verbaut worden. „Das Raumklima bleibt jetzt aber auch garantiert sehr stabil.“ Um den Reiz der nun mit großen Aussichtsfenstern versehenen und zur Loggia transformierten Wandelhalle noch zu erhöhen, sei diese künftig zwei bis drei Grad höher temperiert als die anderen Räume.
documenta im neuen Untergeschoss
Der größte Gestaltungsspielraum habe sich für die Architekten jedoch im Untergeschoss ergeben, in dem historische Zusammenhänge keine Rolle gespielt hätten und in dessen völlig neuen Räumen künftig Wechselausstellungen gezeigt würden. Zudem, so Per Pedersen vom Büro Staab Architekten, könnte das Haus von hier aus im Bedarfsfall noch um weitere 500 Quadratmeter neue Ausstellungsfläche ergänzt werden, die vorhandenen Parkflächen unterirdisch nutzend. Für wohl mehr als 100 Tage wird auch die documenta 13 in das neue Untergeschoss der Neuen Galerie einziehen und dort einen Teil ihrer Exponate präsentieren, wie die scheidende Neue Galerie-Leiterin Dr. Marianne Heinz – zunächst weiterhin verantwortlich für die drei neuen Säulen des Museums: 19. Jahrhundert, zeitgenössische Kunst und documenta – ergänzend preisgab.
Am 23. November wird die Neue Galerie durch den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier wiedereröffnet, kurz darauf gefolgt von einem „Tag der offenen Tür“.