Wie es damals üblich war, wurde ich im Jahre 1926 in der Wohnung meiner Eltern, in der Anna-Straße in Kassel geboren. Wir wohnten dann später in der Sophienstraße in der Opernstraße und schließlich auch auf der „Terrasse“. Es waren herrliche Zeiten in der Henkelschen Privatvorschule und im Realgymnasium I. Hier begann dann auch der „Dienst“ für die Stadt Kassel, indem ich mit 16 Jahren Luftwaffenhelfer wurde und monatelang in der Flakstellung am Rammelsberg lebte und versuchte, meinen Beitrag zur Abwehr der Luftangriffe auf Kassel zu leisten.
In Kriegsgefangenschaft geraten, musste ich zwei Monate unter freiem Himmel leben, bis ich nach Hause zurückkehren konnte.
Nach dem Krieg räumten wir in der Stadt auf. Mit Loren und Feldbahnen transportierten wir den Schutt an den jetzigen Rosenhang, um die Grundlagen für den Wiederaufbau zu leisten. Die Notwendigkeit einer tragfähigen Ausbildung verschlug mich mehrere Jahre nach Frankfurt und ich kehrte dann nach Studium, Promotion und abgelegtem Wirtschaftsprüferexamen 1958 nach Kassel zurück.
Hier habe ich nach dem Ableben meines Vaters seine Praxis fortgeführt. Immerhin war er seit 1932 schon Wirtschaftsprüfer in Kassel. Ich baute diese Praxis aus und 1983 auch ein Bürogebäude im Zentrum der Stadt, in der Friedrichstraße 11. Die Praxis wuchs und vergrößerte sich u. a. durch Beteiligungen im nordhessischen Raum und Niedersachsen nicht unbeachtlich. Schließlich beschäftigte die Prof. Dr. Ludewig + Sozien GbR mit ihren Tochtergesellschaften mehr als 100 Angestellte und wir lieferten einwandfreie Arbeit, die letztendlich auch der Stadt Kassel direkt und indirekt zugute kam. Die Qualität der Leistungen fand auch durch meine Lehrtätigkeit an der Westfälischen Wilhelms Universität zu Münster ihren Ausdruck (1972–2003), die berufsbezogene fachliche Aktivitat fand ihre Anerkennung in der Aufforderung der Übernahme von mehreren leitenden Funktionen innerhalb des Berufsstandes der Wirtschaftprüfer. Aber, wie sich das auch gehört, kam ich nach der Wiedervereinigung einer Bitte des Berufsstandes und der Universität Münster nach, Vorlesungen in Leipzig an der Neugründung der Handelshochschule zu halten. Das dauerte mehr als fünf Jahre. Hierfür erhielt ich das Bundesverdienstkreuz am Bande durch den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, weil ich den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer in den neuen Bundesländern nicht nur durch meine Vorlesungen an der Handelshochschule Leipzig wesentlich gefördert habe.
Zur gleichen Zeit wurde mir auch die Leitung einer „Arbeitsgruppe Bilanzüberprüfung“ innerhalb der Treuhandanstalt in Berlin im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen übertragen. Der Erfolg meiner Tätigkeit zeigt sich in der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse durch den damaligen Finanzminister Hans Eichel.
In 2004 schied ich auf Verlangen meiner früheren Sozien aus der von mir gegründeten Praxis aus, wobei bedauerlicherweise die menschlichen und beruflichen Kontakte völlig verloren gingen.
Bei all dieser vielen Arbeit kamen mir natürlich das Flair der Stadt Kassel und insbesondere des Stadtteils, in dem ich wohne, zugute. Immer wieder konnte ich mit offenen Augen erleben, wie schön Kassel ist, wieviel es in kultureller Hinsicht (Staatstheater, Museen, Bergpark) zu bieten hat, sodass man eigentlich eine Hymne auf Kassel schaffen müsste.
Wenn man mich zu meiner Beziehung zu Kassel fragt, so lebe ich in dieser Stadt sehr glücklich und zufrieden auf dem Brasselsberg, wo ich auch schon vor mehr als 80 Jahren meine Kindheit verbrachte. Aber das ist nicht alles. Ich habe eine Idee gehabt, die Grimm-Forschung in Kassel zu aktivieren, und dies geschah mit großem Erfolg. Mir ist es gelungen, die Mittel für eine Junior-Professur an der Universität Kassel von Kasseler und anderen engagierten Bürgern zusammenzusammeln und in Kooperation mit dem Präsidium der Universität Kassel diesen Lehrstuhl einzurichten. In diesem Zusammenhang habe ich auch den Förderverein Grimm Forschung an der Universität Kassel gegründet. Aber auch das ist nicht alles.
Nachdem die Einrichtung der Junior-Professur für die Grimm-Forschung gelungen war, bin ich nun damit beschäftigt, das Fundament für ein weiteres Highlight für Kassel zu schaffen. Mehr möchte ich im Augenblick nicht dazu schreiben, weil die Dinge noch im Anfangsstadium sind. Aber ich bin mit einigen anderen hoffnungsvoll, dass wir diese Pläne in die Tat umsetzen und somit etwas Wichtiges für die Zukunft der Stadt Kassel leisten können.
Nachdem ich nun 87 Jahre „auf dem Buckel“ und diese Zeit weitestgehend in Kassel verbracht habe, bin ich dankbar, hier fröhlich und mit netten Menschen zusammenleben zu können. Kassel ist doch eine wunderschöne Stadt mit Bergpark, Karlsaue, Fulda und vielen Museen, die diese Stadt mit geprägt haben. Dafür bin ich dankbar.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Ludewig
Ehrenbürger der Universität Kassel