Fliehkraft, Schwerkraft, Momentum

Die Tanz- und Bewegungskunst der Bettina Helmrich
Unwillkürlich muss man bei ihr immer an Astrid Lindgrens »Ferien auf Saltkrokan« denken. Denn wo Bettina Helmrich auch auftaucht, darf er, wie in dem beliebten Kinderfilm der 60er, auf keinen Fall fehlen: der riesige, gutmütige Hund an ihrer Seite. Seit kurzem ist es ein »Schröder« – nicht etwa benannt nach dem brioniphilen Ex-Kanzler, sondern nach der zarten Musikerseele der »Peanuts«. Zuvor war es für lange Jahre tatsächlich, wie bei Lindgren, ein »Bootsmann«, und einmal durfte sich dieser sogar als Performance-Partner ausprobieren. „Ich dachte mir damals: Der ist immer die ganze Zeit dabei, liegt da so ’rum – machen wir doch einfach mal was zusammen!“, erzählt Bettina Helmrich, die ihren überaus anhänglichen Schafpudel allerdings nur ein einziges Mal mit auf die Bühne nahm: „Weil es dann doch nicht so einfach ist mit Tieren – vor allem, weil sie die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen!“, lacht die Tänzerin, Choreographin und Filmemacherin, die bereits seit Ende der 90er Jahre eine feste Größe in der Freien Szene der Kasseler Kunst- und Kulturschaffenden ist.

Foto: Mario ZgollImprovisation in Holland
Ursprünglich ausgelebt in einem Studium der Architektur und Landschaftsplanung, verlagerte Bettina Helmrich ihre kreativen Ambitionen in der Folge immer mehr zum Theater und besuchte schließlich sogar eine entsprechende Privatschule in Hamburg. „Dort wurde mir allerdings schnell klar, dass Sprechen nicht so wirklich mein Ding ist. Dafür habe ich aber eine Tänzerin von Pina Bausch kennengelernt, mit der ich dann Tanztheater gemacht habe“, berichtet die Künstlerin über die Anfänge ihrer Faszination für die Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers. Ein vierjähriges Studium »Zeitgenössischer Tanz und Performance« am European Dance Development Center (EDDC) der Hoogeschool voor de Kunsten im niederländischen Arnheim sollte sich anschließen, bei der Bettina Helmrich ihren künstlerischen Schwerpunkt im speziell dort gelehrten New Dance fand: „Anfang der 80er Jahre hatte sich in Amsterdam, unter Beteiligung vieler Lehrer aus Amerika, die School for New Dance Development gegründet, mit jedoch immer stärker werdendem Fokus auf reine Tanztechnik. Daher gingen Ende der 80er einige Lehrer, um in Arnheim eine neue Schule aufzuziehen, wo es vor allem um Performance, Improvisation und eine wesentlich freiere Arbeit mit dem Thema Tanz gehen sollte.“

„Alles griff ineinander“
Mit wirklich namhaften Leuten habe sie dort gearbeitet: „Viele hatten in den 60er und 70er Jahren in Amerika die Grundsteine für den zeitgenössischen Tanz gelegt, darunter Steve Paxton und Merce Cunningham, der Partner des Künstlers und Komponisten John Cage.“ Lucinda Childs und Nancy Stark Smith nennt Bettina Helmrich, nach weiteren Vorbildern gefragt, und immer wieder Documenta 12-Teilnehmerin Trisha Brown. „Für sie war der Tanz gekoppelt an die Bildende Kunst. Da gab es diese Verbindung mit dem Visuellen, denn sie hat sehr viel mit Video gearbeitet, ebenso mit Kostümen und Musik – alles griff ineinander“, so Helmrich. Kennzeichen dieser Bewegung sei die strukturelle Arbeit, die Beschäftigung mit den physischen Gegebenheiten. „Vorher, im Ballett, da strebte ja alles »nach oben«. Der zeitgenössische oder Neue Tanz hingegen bezieht sich auf die physikalischen Gesetzmäßigkeiten für den Körper: Fliehkraft, Schwerkraft und Momentum, also Schwung. Und es wird ständig ausprobiert, etwa: Wie bewegen sich zwei Körper eigentlich miteinander, durch welche Impulse, welche Verlagerung des Gewichts?“

Verkörperung statt Darstellung
In diesem Kontext sieht die Tänzerin auch ihre eigene Arbeit: „Es geht dabei vor allem um die Sinne, um die Wahrnehmung, und wie das Wahrgenommene zum Ausdruck kommt über meine Bewegung oder meinen Körper“, so Bettina Helmrich. „Nicht nur bloße Körperbeherrschung, wie im Sport, sondern ein Bewusstsein über viele verschiedene Ebenen, basierend auf konkreten Erfahrungen. Der Ausdruck, den ich in diesem Augenblick haben will, die Qualität, die ich im nächsten ansteuere – was genau welche Wirkung erzeugt. Die Idee oder das Thema, mit dem ich arbeite, wirklich physisch spürbar verkörpern und nicht nur, kopfgesteuert und innerlich distanziert, einfach darstellen.“ Anders als beim Tanztheater, wo die zu erzählende Geschichte oft Vorrang habe, gehe es bei ihrem Tanz nicht zuletzt um dessen Verhältnis zum Raum: „Dieser gibt mir auch die Inspiration dafür, wie ich tanze, wie ich mich bewege – das ist für mich so ein bisschen wie dreidimensionale Malerei. Denn im Raum gibt es ja verschiedene Linien, die auch unterschiedliche Wirkungen haben: Die Diagonale erzeugt eine andere Spannung als die Vertikale oder die Horizontale. Und je nachdem, was für Bewegungen ich da draufsetze und wie ich damit umgehe, erzeugt das ebenfalls eine Spannung – oder eben nicht.“

„Analyse, mach die Düse!“
Den Tanz körperlich auf sich wirken lassen, ihn in sich aufnehmen, die verschiedenen damit verbundenen Körperspannungen zulassen, schauen, wahrnehmen: Was macht das mit mir, wie reagiere ich? Mithin: Empathie, Mitgefühl empfinden – und die analytische Ebene ausgeschaltet lassen. Darin sieht Bettina Helmrich eine besondere Herausforderung ihrer Tanzkunst, deren jüngste Zuschauer diese offenbar besonders gut meistern: „Ich mache ja auch Kinderstücke, und die ganz Kleinen, die leben noch völlig mit in dem was sie sehen“, so die Tänzerin, die auch mit improvisationsfreudigen Musikern zusammenarbeitet, wie etwa dem Kasseler Saxophonisten Martin Speicher, und zahlreiche Kurse gibt, darunter Yoga, Pilates und zeitgenössische Tanztechnik – mit Hütehund »Schröder« im Einsatz: „Meist liegt er ja nur am Rand der Tanzfläche. Doch ist jemand unkonzentriert, wird geplaudert, dann kommt er sofort!“

Weitere Infos unter www.bettinahelmrich.com

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