„Bei Gut Laar wandten zwei Bauern auf einem Trecker die Blicke ab, als er vorbeifuhr; hierher waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Wiener Lipizzaner vor der Roten Armee in Sicherheit gebracht worden. Bei Gut Hohenborn starrte ihn ein Mädchen an.“ Doch der geheimnisvolle Radfahrer – die von Hohenborns waren gute Freunde seines Vaters gewesen – nimmt das Mädchen nur verschwommen, eher schemenhaft wahr. Denn während seiner frühmorgendlichen Tour durchs Warmebachtal, auf der er auch Gut Escheberg streift, „jetzt ein nobler Golfclub“, in dessen Park Emmanuel Geibel einst „Der Mai ist gekommen“ dichtete, flackern dem sportlichen Enddreißiger unablässig die Bilder eines dreifachen Mordes vor Augen: Ein Zahnarztehepaar und dessen kleine Tochter – im eigenen, einsam gelegenen Hause bestialisch abgeschlachtet, in der trügerischen Idylle des schönen Mandelberges. Dem gleichen Fleckchen Fuldatals, das schon bald darauf mit seiner „Park Residenz“ zu den nobelsten und begehrtesten Adressen der Region zählen sollte.
Auf der Suche nach dem wirklichen Mörder
27 Jahre saß der für die Mordtat vom Mandelberg verurteilte Täter hinter Gefängnismauern, jetzt ist er vorzeitig freigekommen – und das allein auf Betreiben von Marcus Aurelius von Loquai, eben jenes Radfahrers, der auch als „Prinz, der Planer“ bekannt ist. Zuvor selbst unschuldig inhaftiert – ein nachhaltiger Ansporn – ist er nun, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, seiner Tochter und guten Freunden an der Seite, auf der Suche nach dem wirklichen Mörder, von dessen Existenz er fest überzeugt ist. Oder sind es vielleicht sogar mehrere? „Wenn über eine alte Sache endlich Gras gewachsen ist“, lautet eine Volksweisheit, „kommt sicher ein Kamel gelaufen, das alles wieder runterfrisst …“ Schon Minuten später, an der Burgruine Falkenberg, wird Prinz in eben dieser Rolle – und zudem noch von unvermuteter Seite – eindringlich davor gewarnt, seine Nachforschungen fortzusetzen. Denn er ist nichtsahnend dabei etwas aufzudecken, dem bereits weit mehr Menschen zum Opfer gefallen sind – und noch fallen werden.
Packende Milieustudie, lebensnah erzählt
Autor Volker Schnell, der schon mit seinem ersten, im Umfeld der Pharmaindustrie angesiedelten Kriminalroman „Der Tod des Aufsichtsrats“ (1992) für Aufsehen sorgte, breitet in „Mordhessen“ auf rund 320 Seiten eine packende Milieustudie der nordhessischen Provinz aus, deren lebensnah agierende Akteure sich auf einem von Abgründen durchzogenen Schachbrett bewegen. Dieses ist zudem noch mit – zu Kunstfiguren verfremdeten – realen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte bevölkert, die der Region einst ihren Stempel aufdrückten: Vom spielsüchtigen Polizeipräsidenten bis hin zum ambitionierten Landrat, der erfolgreich die Gebietsreform verhinderte, reicht die Palette der unfreiwilligen Romanfiguren, deren Handeln tiefe Einblicke in die inneren Strukturen der allgegenwärtigen „kleinen kommunalen Korruption“ erlaubt und sich dabei für den Leser zu Szenarien kulminiert, die zunächst Undenkbares schließlich denkbar werden lassen, wie etwa: Musste die Zahnarztfamilie nur wegen eines großen Immobiliengeschäftes sterben?
Schlüssel oder falsche Fährte?
Doch mögliche Motive für eine seit Jahrzehnten immer wieder aufflackernde, erst jetzt als solche erkennbare Mordserie lauern auch anderswo. Denn die Spuren der Verbrechen führen ebenso zu Satanisten und deren bizarren Ritualen, Menschenopfer eingeschlossen. Wenn ein gläubiger Mensch den Glauben an seinen Gott verliere, wird Prinz schließlich von einem Professor der Psychologie erklärt, „gibt es für ihn auch keine Ethik mehr. Dann ist alles erlaubt.“ Liegt hier vielleicht der Schlüssel für die gesamte Todesspirale? Hängt diese unter Umständen sogar unmittelbar mit dem Immobiliengeschäft zusammen? Oder werden Prinz und seine Mitstreiter, wie schon zuvor die Polizei, nur auf eine falsche Fährte gelockt?
Volker Schnell: Mordhessen, Emons Verlag Köln 2011, 320 Seiten, 10,90 €, ISBN 978-3-89705-837-8
„Mordhessen“ feiert am 12. März, 20 Uhr, im Kasseler Café Buch-Oase, Germaniastr. 14, Premiere