Von Athen lernen? documenta 14: Museum der 163 Tage

Um Gottes Willen, nein, erwiderte mir vor einigen Jahren der Feuilleton-Chef einer großen deutschen Tageszeitung, als ich ihm einen Bericht über die gerade im Fridericianum stattfindende Ausstellung des Kölner Konzeptkünstlers Hans Haacke anbot. Haacke, obgleich international renommiert sowie u.a. dreifacher documenta-Teilnehmer, war ihm scheinbar zu offensiv politisch für seine eher an tradierter Kunstauffassung orientierte Leserschaft. Selbige, mehr den Wonnen der Ästhetik und damit den Meistern der »Kunst kommt von Können«-Fraktion denn den Eleven des sogenannten »erweiterten Kunstbegriffs« zugeneigt, wird es auch mit der jüngst in Athen und ab dem 10. Juni ebenfalls in Kassel eröffneten documenta 14 nicht ganz leicht haben.

2017 das Wahrzeichen der documenta 14 (hier im Aufbau): der dem Athener Parthenon nachempfundene »Tempel der verbotenen Bücher«, nun erstmals in Originalgröße. Foto: (c) Ryszard KasiewiczEtwas sichtbar machen
Citius, altius, fortius – schneller, höher, stärker: Diesem heutigen Motto der Olympischen Spiele fühlt sich Adam Szymczyk, 2013 zum künstlerischen Leiter der 14. Ausgabe der documenta berufener Kunstgeschichtler, ganz gewiss nicht verpflichtet, auch wenn er es zu verantworten hat, dass die seit ihrer Gründung 1955 fest in Kassel verankerte, weltgrößte Kunstausstellung erstmals sowohl hier wie auch in Griechenland stattfindet, für jeweils 100 Tage. Der Erfolg dieses keineswegs mit einem Doppel-Etat ausgestatteten Doppel-Projektes – ursprünglich waren lediglich 300.000 Euro von insgesamt zur Verfügung stehenden 31 Millionen Euro für Athen eingeplant – sei bereits in dessen bloßer Realisierung zu sehen, wie der 46-jährige gebürtige Pole kürzlich gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte. Seine vorherigen Betätigungen als Mitkurator der Berlin Biennale (2008) sowie als Direktor der Kunsthalle Basel (2003–2014) hatten ihm nicht zwingend neue Besucherrekorde abverlangt, was durchaus nachvollziehbar macht, dass es für ihn und sein Team, so Szymczyk, bei der Umsetzung des Ausstellungsmottos »Von Athen lernen« nicht darum gehen könne, bereits „fest in der Produktions- und Konsumkette zeitgenössischer Kunst“ verhaftete Werke zu präsentieren, sondern stattdessen lieber „Dinge sichtbar zu machen, die vorher weniger sichtbar waren“.

Geld und Sexualität
Weniger sichtbar waren demnach bislang etwa die 54 mit Indigo eingefärbten Lämmer – jedes jeweils ein afrikanisches Land symbolisierend – die Aboubakar Fofana in einen Obstgarten an der Hiera Hodos, einer antiken Straße von Athen nach Eleusis, verbracht hat, wo sie sich vermutlich in der Tat besser machen als an der Wand einer Kunstgalerie in Manhattan – doch man weiß ja nie. Und eher schwer dürfte es auf dem Kunstmarkt auch das improvisierte Theater von Israel Galván, Pedro G. Romero und Niño de Elche haben, mit dem diese über die Beziehung zwischen dem Heiligen und dem Profanen, Geld und Sexualität sowie dem Körper und der Münze zu reflektieren beabsichtigen, passend platziert an der Panepistimiou 12, im ehemaligen Wohnhaus des Troja-Entdeckers Heinrich Schliemann und heutigen Numismatischen Museum. Jetzt insbesondere für Amphibienfreunde geradezu aufreizend, später indes für Auktionshäuser wie Christie’s nur bedingt geeignet, wird wohl ebenso das nach Plänen des 2016 verstorbenen Fluxus-Künstlers Benjamin Patterson im Garten von Athens Byzantinischem und Christlichem Museum realisierte „akustische Graffito“ aus Froschstimmen sein. Was aber ohnehin für die meisten bislang bekannten Beiträge zur documenta 14 gilt, die – an allein rund 50 Schauplätzen in und um Athen – allem Anschein nach insbesondere auf sinnliche, für den Moment gedachte Reize setzt und weniger auf die in Niedrigzinszeiten durchaus von einer weltweit wachsenden Zahl von Kunstfreunden gewünschte Ausstellung investitionsrelevanter Werke.

Allein mit der Kunst
Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese flüchtigen Reize ausreichen, ihr Publikum über den Moment des physischen Erlebens hinaus zur Auseinandersetzung mit den dahinter liegenden, vorzugsweise politisch intendierten Motiven der laut Szymcyk in erster Linie nach politischen Kriterien ausgewählten Künstler zu bewegen, deren Auseinandersetzung mit dem „individuellen, denkenden Körper“, der sich „in Zeiten politischer Umbrüche dem Machtapparat entgegenstellt“. Denn so wie Adam Szymczyk die Dinge sieht, darf der Kunstschaubesucher – als Vorbedingung ohnehin jedweder kleinbürgerlichen Mentalität abhold – selbstverständlich auch keinesfalls erwarten, für einen Tageskartenpreis von 22 Euro zwangsläufig in jedem Fall dem eher ganzheitlich und interdisziplinär verorteten Ansatz der – bei bewusst offenen gelassener Teilnehmerliste – rund 150 mitwirkenden Künstler folgen zu können, gar schnell auf Erkenntnisse zu stoßen. Ja, zeitgenössische Kunst sei vielleicht wirklich nicht so leicht zugänglich, sinnierte der documenta-Leiter erst unlängst, aber es seien ja gerade diese Momente des Nicht-Verstehens, die so ganz fundamental für die Erfahrung von Kunst seien. Und mit solchen Momenten könne man dann auch schon mal allein gelassen werden. Denn sonst sei es ja keine Kunst, sondern – Innenausstattung.

Erstmalig 1983 in Buenos Aires umgesetzt, nach dem Ende der dortigen Militärdiktatur: der »Tempel der verbotenen Bücher«, ein Projekt der argentinischen Konzeptkünstlerin Marta Minujin. Foto: (c) documenta Archiv Marta Minujin

Replik in Originalgröße
Wie diese – Kunst – im Kasseler Teil der Ausstellung aussehen wird, ist noch weitgehend unbekannt, sieht man einmal ab vom „Tempel der verbotenen Bücher“, einem voraussichtlich zum Hauptmotiv der documenta 14 avancierenden Werk der argentinischen Konzeptkünstlerin Marta Minujin, das diese bereits 1983 in Buenos Aires realisiert hatte. Als Novität wird ihre dem Athener Parthenon nachempfundene Buchskulptur nun erstmals in dessen Originalgröße nachgebaut, direkt vor dem Fridericianum, das mit 230 dort avisierten Werken erneut als Hauptausstellungsort der documenta fungiert, flankiert u.a. von der Neuen Galerie, dem Stadtmuseum, der Grimmwelt und dem Museum für Sepulkralkultur. Alle in Athen vertretenen Künstler stellen auch in Kassel aus, wohin ebenso ein Großteil der Athener documenta-Beiträge wandern wird, mit kalkulierter Ungewissheit, wie sich dies dann wohl im 37-tägigen Überschneidungszeitraum beider Kunstschauen gestalten mag. Doch vielleicht ist auch hier einfach der Weg das Ziel, denn was wir auf jeden Fall von Athen lernen könnten, manifestiert sich am überzeugendsten in der Schlussszene von »Alexis Sorbas« (1964), wo Anthony Quinn, trotz vollendetem Chaos, trunken vor Glück in die Abendsonne tanzt …

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